Klin Monbl Augenheilkd 2002; 219(9): 686-687
DOI: 10.1055/s-2002-35169
Nachruf
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachruf für Prof. Dr. Josef Wollensak

Obituary for Professor Dr. Josef WollensakChristian  Ohrloff, Duy-Thoai  Pham
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Publication Date:
30 October 2002 (online)

Im Februar diesen Jahres fehlte Josef Wollensak beim jährlichen Kongress der DGII (Deutsche Gesellschaft für Intraokulare Linsenimplantation und Refraktive Chirurgie).

Dies war ungewöhnlich, denn auch nach seiner Emeritierung am 31. März 1996 war er immer präsent gewesen, rege, interessiert, engagiert und vor allen Dingen ein kritischer Diskutant!

Am 8.5.02 - zwei Monate nach seinem 74. Geburtstag - ist er nach kurzer schwerer Krankheit verstorben.

Josef Wollensak wirkte 27 Jahre in der Berliner Ophthalmologie, zunächst am Universitätsklinikum Westend der Freien Universität Berlin, dann von 1992 bis 1996 an dem neuen Klinikum Rudolf Virchow. Aus seiner Schule gingen ca. 80 Ärzte, darunter 6 Hochschullehrer hervor. Sein wissenschaftliches Werk umfasst über 200 Publikationen, mehrere Bücher und zahlreiche Buchbeiträge. Er war Präsident der Ophthalmologischen Gesellschaft, Gründungsmitglied der DGII sowie der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft und Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.

Josef Wollensak wurde am 8.3.1928 in Tettnang/Württemberg geboren. Nach dem Kriegsabitur im Jahre 1945 studierte er zuerst Naturwissenschaften, dann Medizin in Tübingen. Für die damalige Zeit äußerst ungewöhnlich und zugleich ein Zeichen seiner Offenheit und Dynamik war, dass er ein Jahr seines Medizinstudiums in Montpellier und Paris verbrachte. 1953 erfolgte die Bestallung zum Arzt und die Promotion zum Doktor der Medizin mit dem Thema „Merkmale der Süchtigkeit im Rorschach- und Wartegg-Test”. Es folgten drei Jahre Tätigkeit in der Inneren Medizin und zwei Jahre am Max-Planck-Institut für Virusforschung bei Herrn Prof. Schäfer, in denen er wissenschaftliche Erfahrungen in der Virologie sammeln konnte. Aus diesem Holz, nämlich mit dem Fundus des experimentellen Arbeitens, sind exzellente Kliniker geschnitzt, da das experimentelle wissenschaftliche Arbeiten wesentliches Rüstzeug für ein differenziertes klinisches Denken liefert. Wollensak war dann immer an der Grundlagenforschung interessiert und bearbeitete damals biochemische Probleme der Hornhaut, speziell zur Entstehung des Keratokonus. In diesem Zusammenhang bestand intensiver Kontakt zum Biochemischen Institut der Universität Münster (Prof. Buddecke) und wenn es notwendig war, eine entnommene Hornhaut schnellstens zu untersuchen, nutzte er diese Gelegenheit, um persönlich nach Münster zu „rasen”.

Seine ophthalmologische Laufbahn begann 1957 bei Prof. Schreck in Erlangen. Dort blieb er zwölf Jahre und habilitierte sich im Jahr 1963 über chemische und histologische Untersuchungen der Zonula ciliaris. Während dieser Zeit erlebte Wollensak intensiv den Rückschlag der damaligen Vorderkammerlinsen. Dies führte zu seiner sehr kritischen Zurückhaltung gegenüber den neueren intraokularen Linsen in den 60er- und 70er-Jahren.

1968 erhielt Prof. Wollensak den Ruf auf den Lehrstuhl für Ophthalmologie der Freien Universität Berlin als Nachfolger von Herrn Prof. Gasteiger. Es war kein einfacher Anfang in Berlin, wo auf den Straßen und in der Universität viel Unruhe herrschte. Man muss sich dies heute nochmals vorstellen: Berlin, das Zentrum der Studentenbewegung der 68er Jahre und Josef Wollensak aus Schwaben auf einem Lehrstuhl inmitten dieses Geschehens - als Fels in der Brandung. Gerade das, was ihn auszeichnete, nämlich seine Standfestigkeit mit der Fähigkeit eine eigene Meinung glaubhaft zu artikulieren führte dazu, dass er eine hervorragende Klinik aufbauen konnte, die immer kompetent für diejenigen zuständig war, die es letztlich betrifft: die Patienten. Es gelang ihm, die Klinik mit klaren Strukturen und festen Prinzipien zu führen. Er überzeugte die Behörden und Klinikverwaltung davon, die Bettenstationen und den Forschhungsbereich der Augenklinik im begehrten Neubau der Kopfklinik im Klinikum Westend unterzubringen. An diesem Standort fanden wichtige Innovationen statt, die heute zur alltäglichen Routine gehören:

Biomorphologische Diagnostik der Hornhaut und Papille mit bildgebendem Verfahren. Spezielle Augenspule für Magnetresonanz zur Darstellung des Nervus opticus. Gemeinsam mit Theo Seiler Entwicklung und Anwendung des Excimer-Lasers und weltweit die erste refraktive Korrektur am humanen Auge Mitte der 80er Jahre. Wesentliche Fortschritte in der Kataraktchirurgie.

Josef Wollensak war Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Intraokulare Linsenimplantation und Refraktive Chirurgie (DGII), weil er erkannt hatte, dass diesem Thema frühzeitig größte Aufmerksamkeit gewidmet werden musste; später wurde er in Anerkennung seiner Leistungen deren Ehrenmitglied. 1988 war er Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und organisierte einen wissenschaftlich hochstehenden Kongress in Berlin, der in der „alten” Kongresshalle in Tiergarten stattfand.

So fruchtbar wie die wissenschaftlichen Aktivitäten, so innovativ war auch die Routinepatientenversorgung. Er war stets offen für die neuen klinischen Entwicklungen und Anwendungen. Es kam regelmäßig während der morgendlichen 30 Minuten „wissenschaftliche Mitteilung”, bei den Visiten oder bei der „OP-Vorstellung mit Diagnosebesprechung” am Nachmittag zu regen fachlichen Diskussionen. Es wurden ohne Umweg Beweise und Argumente verlangt bzw. vorgebracht und fachlich eingefahrener Unsinn gnadenlos angegriffen. Hiervon wurde keiner verschont, vom jüngsten Assistenten bis zum ersten Oberarzt. Während solcher Auseinandersetzungen kannte er keine Diplomatie. Er erfasste sofort den Kernpunkt und scheute nicht, den Finger in die Wunde zu legen. Wollensak war ein Schnelldenker und ein schlagfertiger Redner. Es war nicht immer bequem, aber die Vermittlung des fundierten Fachwissens war effektiv und die Einstellung zum ärztlichen Handeln überzeugend.

Josef Wollensak war ein ausgezeichneter Operateur. Er operierte exakt, extrem sorgfältig, dennoch sehr schnell und viel. Wie Prof. Naumann und Prof. Gloor zu seinem 65. Geburtstag geschrieben haben: „Schnell bei der Arbeit und schnell beim Denken” - Schnelligkeit war das Markenzeichen von Wollensak.

Je mehr man mit ihm zusammenarbeitete, umso mehr bemerkte man wie fachlich anspruchsvoll er war und wie unendlich viel er von einem verlangte. Es war ebenso eindeutig, dass er diesen Anspruch auch an sich selbst stellte.

Wollensak war ein besonders neugieriger Mensch, immer bestens informiert und hatte ein unglaublich gutes Gedächtnis. Er verfügte nicht nur über ein enormes Fachwissen, er wusste beispielsweise auch genau, wie viele Operationen in den Jahren gemacht wurden.

Trotz seiner durchaus konservativen Haltung in Bezug auf die Grundwerte in der Arbeit und im Leben, überraschte er oftmals seine Mitarbeiter umso mehr mit seinem Humor, mit seiner Offenheit und seinem Verständnis für das Neue und Moderne in der Lebensphilosophie sowie in der Kunst.

Nach seiner Emeritierung hat er an der Universität Konstanz Philosophie studiert: Das Studium erfolgte bei seinem Freund und Mentor Mittelstraß, dessen Philosophie in den Alltag hineinwirkte, denn wir alle kennen die differenzierten Stellungnahmen von Mittelstraß zur Hochschule, zur Entwicklung der modernen Universität und dem Bildungswesen in Deutschland.

Das passte auch zu Wollensak, der im alltäglichen Geschehen integriert blieb und - mit fröhlicher Distanz - anregend und belebend bis zum letzten Jahr bei vielen ophthalmologischen Ereignissen anzutreffen war. Gerade seine offene Art, seine Ehrlichkeit, sein unermüdliches Engagement und seine Loyalität brachten ihm die Menschen näher. Kollegial und menschlich war er immer jemand, auf den man sich voll verlassen konnte. Er war von Natur aus ein bescheidener Charakter und blieb sich darin immer treu. Prof. Wollensak hat für die Ophthalmologie, speziell für die Berliner Universitäts-Augenklinik, viel getan. Dafür haben wir ihm alle zu danken.

C. Ohrloff, Frankfurt; D.-T. Pham, Berlin

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