Psychiatr Prax 2010; 37(5): 256
DOI: 10.1055/s-0030-1262363
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Kunst und Demenz - Kunst trotz Demenz - Kunst durch Demenz?

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Publication Date:
05 July 2010 (online)

 

Kreativtherapeutische Angebote für Menschen mit Demenz sind noch nicht sehr weit entwickelt. Wenn es sie in Heimen und Kliniken überhaupt gibt, handelt sich meist um von außen gesteuertes Malen oder Musik als bloßen Anknüpfungspunkt für biografisches Erinnern. Die beiden Bücher überschreiten diese Grenze und fragen nach der Möglichkeit des Schöpferischen in der Demenz, ja mitunter erst durch die Demenz.

Der Kunsttherapeut Ganß, seit Jahren mit Demenzkranken und Psychiatriepatienten arbeitend, liefert eine weit gespannte Auseinandersetzung mit der Thematik, die eine Diskussion des Kunstbegriffs und die "Kunst Geisteskranker" (Prinzhorn, Dubuffet, "Art brut") ebenso umfasst wie die Veränderungen in den Werken bekannter Künstler im Zuge ihrer Demenzerkrankung (de Kooning, Utermohlen, Horn). Ganß diskutiert unterschiedliche kunsttherapeutische Ansätze (ergotherapeutisch, heiltherapeutisch, wahrnehmungsstimulierend, anthroposophisch), um dann seine Arbeit nach dem Prinzip des offenen Ateliers zu erläutern. Wesentlich ist der Möglichkeitsraum der Kunst, in dem das Handeln nach Vorschrift entfällt, eine für viele Demenzkranke neue Erfahrung. Eindrucksvoll sind die beiden ausführlichen Falldarstellungen inkl. mehrerer Farbtafeln.

Auch das zweite Buch stammt aus der Feder erfahrener Praktiker. Es erläutert die Möglichkeiten der Musiktherapie, auch für Menschen mit schwerer Demenz, spart aber auch Schwierigkeiten, Konfliktherde und Fallstricke in Institutionen nicht aus. Das Interesse der Autoren für die Dialektik von Beziehungsentwicklung und Kontextbedingungen ist bemerkenswert. Das Buch ist schwungvoll und gleichwohl sprachlich wohltuend differenziert geschrieben, die Fülle von Fallbeispielen (95 sind es) verleihen ihm eine enorme Lebendigkeit, die durch die beigefügte DVD mit etlichen filmischen Szenen aus der musiktherapeutischen Arbeit noch gesteigert wird. Beide Bücher zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie in ihrem Verständnis von Demenzerkrankungen neuropsychologisch gut fundiert sind, ihren Impetus aber gewinnen sie durch das Interesse für die subjektive Seite, für die Menschen mit Demenz, das sich vom distanziert-objektivierenden, defizitorientierten medizinischen Blick unterscheidet.

Fazit: Zwei ausgezeichnete Bücher, die Mut machen für die Begegnung mit demenzkranken Mitmenschen!

Dirk K. Wolter, Wasserburg am Inn

Email: dirk.wolter@iskl.de

Ganß M. Demenz-Kunst und Kunsttherapie. Künstlerisches Gestalten zwischen Genius und Defizit. 348 S., 12 S., Farbtafeln. Frankfurt / M.: Mabuse-Verlag, 2009. 34,90 Euro. ISBN 978-3-940529-50-3

Muthesius D, Sonntag J, Warme B, Falk M. Musik – Demenz – Bewegung. Musiktherapie für Menschen mit Demenz. 335 S., 8 Abb., 9 Tab. Als Beilage eine Video-DVD. Frankfurt / M.: Mabuse-Verlag, 2010. 36,90 Euro. ISBN 978-3-940529-55-8

  • 01 Ganß M . Demenz-Kunst und Kunsttherapie.. Künstlerisches Gestalten zwischen Genius und Defizit. Frankfurt / M.: Mabuse-Verlag; 2009. 348 S., 12 S., Farbtafeln, 34,90 €. ISBN: 978-3-940529-50-3
  • 02 Muthesius D , Sonntag J , Warme B , Falk M . Musik – Demenz – Bewegung.. Musiktherapie für Menschen mit Demenz. Frankfurt / M.: Mabuse-Verlag; 2010. 355 S., 8 Abb., 9 Tab. Als Beilage eine Video-DVD. 36,90 €. ISBN: 978-3-940529-55-8
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