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Open AccessOriginalarbeit

Stresserleben und Stresssymptomatik bei Kindern und Jugendlichen

Ein Vergleich von Kohorten aus 1996, 2006 und 2018

Published Online:https://doi.org/10.1026/0049-8637/a000247

Abstract

Zusammenfassung. Diese Studie untersucht, ob sich das Ausmaß des Stresserlebens und der physischen Stresssymptomatik bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen 20 Jahren verändert hat. Grundlage bilden die Daten von 4450 Schülerinnen und Schülern der dritten bis sechsten Klassenstufe (Altersbereich: 6 bis 14 Jahre), die im Rahmen der Normierung des Fragebogens zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ) in den Jahren 1996 (Kohorte 1, n = 960, 49 % männlich), 2006 (Kohorte 2, n = 1324, 49 % männlich) und 2018 (Kohorte 3, n = 2166, 50 % männlich) erfasst wurden. Die Überprüfung der Messinvarianz anhand konfirmatorischer Faktorenmodelle zeigte für beide Skalen partielle skalare Invarianz, wonach die Voraussetzung für die Durchführung latenter Mittelwertvergleiche erfüllt ist. Die Vergleiche weisen bei beiden Skalen nicht auf eine bedeutsame Veränderung über die Zeit hinweg hin. Gleichzeitig lassen die Invarianzanalysen erkennen, dass die Struktur der erhobenen Konstrukte über die Zeit stabil war.

Levels of Stress Experiences and Stress Symptomatology in Children and Adolescents: A Comparison of Cohorts from 1996, 2006, and 2018

Abstract. This study examines whether the levels of stress experience and physical stress symptomatology have changed in children and adolescents over the past 20 years. The study uses data from 4,450 third- to sixth-grade students (aged 6 to 14 years) based on norm data collected in 1996 on the Stress and Coping Questionnaire for Children and Adolescents (Cohort 1, n = 960, 49 % male), 2006 (Cohort 2, n = 1324, 49 % male), and 2018 (Cohort 3, n = 2166, 50 % male). An examination of the measurement invariance using confirmatory factor models showed partial scalar invariance for both scales, which is the prerequisite for conducting latent mean comparisons. The comparisons do not indicate a significant change over time for either the level of stress experience or physical stress symptomatology. Furthermore, the invariance analyses reveal that the structure of the included constructs on stress experience and stress symptomatology remained stable over time.

Nach der transaktionalen Stresstheorie (Lazarus, 1981; Lazarus & Folkman, 1984) entsteht Stress durch Ereignisse, die durch äußere oder innere Anforderungen die Anpassungsfähigkeit eines Individuums beanspruchen bzw. übersteigen (Hemming, 2015). Schon Kinder und Jugendliche sind mit einer Vielzahl an potenziellen Anforderungen konfrontiert, die Stress erzeugen können. Neben alltäglichen Stressoren (z. B. Streitigkeiten mit Bezugspersonen oder Gleichaltrigen) können kritische Lebensereignisse (z. B. chronische Erkrankungen, Scheidung der Eltern) ebenso wie Entwicklungsprobleme (z. B. Schuleintritt, Pubertätsbeginn) eine Rolle spielen (Lohaus, 2018a). Dabei können sowohl einzelne (als besonders belastend erlebte) Stressoren als auch eine Kumulation einer Vielzahl von Anforderungen (bei einem gleichzeitigen Mangel an Ressourcen) zu einem erhöhten Stresserleben beitragen (s. auch Hobfoll, 2002).

Ein erhöhtes Stresserleben im Kindes- und Jugendalter ist wiederum mit einem reduzierten subjektiven Wohlbefinden und erhöhten physischen und psychischen Symptomangaben assoziiert (Lohaus, Beyer & Klein-Heßling, 2004). Vor allem die Erfahrung von intensivem sowie langandauerndem Stress kann dabei nicht nur auf der psychologischen, sondern auch auf der psychobiologischen Ebene zu Veränderungen führen, die nicht nur das Erleben und Verhalten beeinflussen, sondern auch die Entstehung von psychischen und physischen Symptomatiken begünstigen können (Gunnar & Quevedo, 2007; Pervanidou & Chrousos, 2011). Man kann dementsprechend davon ausgehen, dass eine Zunahme von Stresserfahrungen im Kindes- und Jugendalter mit negativen Folgen für die psychische und physische Befindlichkeit einhergeht. In dieser Studie soll anhand von Normdaten zum Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung der Frage nachgegangen werden, ob es Hinweise auf Veränderungen des Stresserlebens und der Stresssymptomatik über den Zeitraum der vergangenen 20 Jahre gibt. Zuvor soll kurz darauf eingegangen werden, welche Hinweise auf eine Veränderung (a) des Stresserlebens und (b) physischer und psychischer Symptomatiken sich aus der bereits vorliegenden Forschungsliteratur ergeben.

Stresserleben. Hinsichtlich des Stresserlebens gibt es zunächst keine direkten empirischen Befunde, die auf eine Veränderung hindeuten. Es gibt lediglich eine Reihe von Argumenten und Befunden, die indirekt nahelegen, dass das Stresserleben im Kindes- und Jugendalter in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten tendenziell zugenommen haben könnte. Nach Pitchforth et al. (2019) gehören dazu soziale und wirtschaftliche Veränderungen, die zu einer Verlängerung der Abhängigkeit von den Eltern und zu Verzögerungen beim Erreichen von Autonomie geführt haben. Hinzu kommt, dass der wahrgenommene Leistungsdruck durch das schulische Umfeld, der nicht selten auch durch die Eltern unterstützt wird, tendenziell zugenommen hat (Giota & Gustafsson, 2017; Högberg, Strandh & Hagquist, 2020). Weiterhin ist die zunehmende Bedeutung sozialer Medien im Kindes- und Jugendalter zu nennen, die nicht nur permanente Aufmerksamkeit erfordern, sondern auch (z. B. über soziale Online-Medien) eine Quelle für Mobbingerfahrungen sein und dadurch zum Stresserleben beitragen können (Glüer & Lohaus, 2015; Twenge, 2019). Es lassen sich also zusammenfassend verschiedene Einflussparameter identifizieren, die eine Zunahme des Stresserlebens in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nahelegen (Lohaus, 2018b). Es handelt sich hierbei jedoch um hypothetische Schlussfolgerungen aus potenziellen Einflussfaktoren, die zum Stresserleben beitragen können, ohne dass dabei direkte Vergleichsdaten über die Zeit hinweg zugrunde liegen.

Wenn allerdings tatsächlich ein verstärktes Stresserleben bei Kindern und Jugendlichen auftreten würde, müsste sich dies auch in Veränderungen des biopsychosozialen Befindens beobachten lassen. Im Folgenden soll auf mögliche Aufschlüsse eingegangen werden, die sich zu dieser Thematik aus der vorliegenden Forschungsliteratur gewinnen lassen.

Physische und psychische Symptomatik. Anders als beim Stresserleben gibt es bei der potenziell stressbezogenen Symptomatik unmittelbare Evidenzen, die eine Veränderung über die Zeit hinweg indizieren. Vor allem die internationale HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children), die seit über 30 Jahren regelmäßig vergleichende Gesundheitsdaten zu Kindern und Jugendlichen im Altersbereich von 11 bis 15 Jahren erhebt, ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Betrachtet man die Veränderungen in Deutschland, dann lassen sich bei vielen Symptomen, die mit Stress zusammenhängen können, tendenziell Zuwächse erkennen. So stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Schlafproblemen von 14 % im Jahr 2002 auf 23 % im Jahr 2018. Im Jahr 2002 lagen weiterhin die Anteile für Kopfschmerzen bei 12 %, für Rückenschmerzen bei 8 % und für Bauchschmerzen bei 7 %, während für das Jahr 2018 hier entsprechend 14 %, 13 % und 10 % angeben wurden (Ottova, Hillebrandt, Ravens-Sieberer & das HBSC-Team Deutschland, 2012; HBSC-Studienverbund Deutschland, 2020). In allen Bereichen finden sich damit deskriptiv Hinweise auf Anstiege. Dies wird auch durch internationale Vergleichsdaten aus der HBSC-Studie unterstrichen, die ebenfalls über Anstiege berichten (Hagquist, Due, Torsheim & Välimaa, 2019), wobei hier Daten aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden einbezogen waren. In einer breiter angelegten Vergleichsstudie mit Bezug auf die Jahre 1994 bis 2010 fanden sich in fünf Ländern Anstiege bei gesundheitlichen Beschwerden, in sieben Ländern Abfälle und in 23 Ländern gleichbleibende Zahlen (Ottová-Jordan et al., 2015). Die Trends scheinen damit zumindest international nicht einheitlich zu sein.

Betrachtet man Indikatoren wie Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden, die ebenfalls Bezüge zu Stress aufweisen können, so sprechen die HBSC-Daten insgesamt für eine recht hohe Lebenszufriedenheit bei Kindern und Jugendlichen. In einer Analyse der HBSC-Daten aus der Schweiz für die Jahre 2002 bis 2018 zeigten sich lediglich geringe Schwankungen über die Zeit hinweg. In einer repräsentativen Studie aus den USA zum psychischen Wohlbefinden von Acht-‍, Zehnt- und Zwölftklässlern in den Jahren 1991 bis 2016 fand sich ein deutlicher Rückgang des berichteten Wohlbefindens vor allem in den Jahren nach 2012, wobei dies mit der zunehmenden Verfügbarkeit von elektronischen Kommunikationsmedien in Verbindung gebracht wird (Twenge, Martin & Cambell, 2018). Auch in einer Studie aus Schweden, die Angaben zum Wohlbefinden von 18-Jährigen aus zwei Geburtskohorten (1974 und 1990) verglich, zeigte sich ein Abfall bei den später geborenen Jugendlichen (Brann et al., 2017).

Bei Indikatoren, die mit Stress in Verbindung stehen können, zeigen sich also einerseits Hinweise auf gleichbleibende Werte, aber andererseits auch auf Veränderungen, die auf eine Zunahme des Stresserlebens hindeuten. Auch die potenziellen Einflussfaktoren (wie Leistungsdruck oder Medieneinflüsse) weisen überwiegend in diese Richtung.

In dieser Studie soll ein unmittelbarer Vergleich der Angaben zum Stresserleben und zur stressbezogenen Symptomatik über den Zeitraum von 1996 bis 2018 vorgenommen werden. Zugrunde gelegt werden dabei die Normdaten zum Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung in den Fassungen aus 1996, 2006 und 2018. Das innovative Element dieser Studie liegt dabei darin, dass nicht nur Angaben zur Symptomatik, sondern auch unmittelbar zum Stresserleben verglichen werden. Im Gegensatz zu vorausgehenden Studien werden weiterhin Analysen zur Messinvarianz vorgenommen, die als Voraussetzung für einen Vergleich der Messungen in verschiedenen Kohorten gilt. Die zentralen Fragestellungen der Studie beziehen sich auf die Frage, welche Form der Messinvarianz bei den Erhebungen (a) zum Stresserleben und (b) zur physischen Stresssymptomatik zwischen den drei Kohorten besteht (Fragestellung 1). Die Messinvarianzanalysen geben gleichzeitig inhaltlich eine Antwort auf die Frage, ob die Struktur und die Bedeutung der Konstrukte über die Zeit hinweg stabil geblieben sind. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, ob es Unterschiede im Ausmaß (a) des Stresserlebens und (b) der physischen Stresssymptomatik zwischen den drei Kohorten gibt (Fragestellung 2). Zur Fragestellung 2 werden Mittelwertvergleiche sowohl auf der Basis der manifesten als auch (bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Messinvarianz) der latenten Variablen vorgenommen.

Methode

Stichproben

Die zugrundeliegenden Daten entstammen den Normierungsstichproben des Fragebogens zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung (SSK) aus dem Jahr 1996 (Kohorte 1) sowie dessen Weiterentwicklungen aus den Jahren 2006 (SSKJ 3 – 8, Kohorte 2) und 2018 (SSKJ 3 – 8-R, Kohorte 3).

Kohorte 1. Im Rahmen der ersten Normierung (Lohaus, Fleer, Freytag & Klein-Heßling, 1996) nahmen 981 Schülerinnen und Schüler an der Befragung teil. Ein Erstklässler sowie 20 Zweitklässler wurden in der vorliegenden Studie von den Analysen ausgeschlossen, da sie nicht in dem vom Fragebogen vorgegebenen Altersbereich der dritten bis sechsten Klassenstufe lagen. Kohorte 1 umfasste demnach 960 Schülerinnen und Schüler im Alter von 6 bis 14 Jahren (M = 10.18, SD = 1.27, 49 % männlich). Die Verteilung hinsichtlich der Klassenstufen erwies sich als eher ungleichmäßig. So gehörten der dritten (n = 302) und vierten (n = 315) Klassenstufe mehr Befragte an als der fünften (n = 157) und sechsten (n = 158).

Kohorte 2. Die zweite Kohorte (Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann & Klein-Heßling, 2006) bestand aus 2000 Schülerinnen und Schülern der dritten bis achten Klasse. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Stichproben zu erlangen, wurden die Befragten der siebten und achten Klassenstufe von den Analysen ausgeschlossen. Es ergab sich folglich eine Stichprobengröße von 1324 Schülerinnen und Schülern im Alter von 7 bis 14 Jahren (M = 10.23, SD = 1.30, 49 % männlich). Die Befragten verteilten sich etwa gleichmäßig auf die Klassenstufen (dritte Klasse: n = 347, vierte Klasse: n = 304, fünfte Klasse: n = 346, sechste Klasse: n = 327).

Kohorte 3. Der dritten Kohorte (Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann & Klein-Heßling, 2018) gehörten 3192 Kinder und Jugendliche der dritten bis achten Klasse an. Auch hier fand eine Beschränkung auf die Schülerinnen und Schüler der dritten bis sechsten Klassenstufe statt. Der Stichprobenumfang reduzierte sich damit auf 2166 Schülerinnen und Schüler im Alter von 7 bis 14 Jahren (M = 10.17, SD = 1.34, 50 % männlich). Mit Ausnahme der dritten Klassenstufe (n = 453) verteilten sich die Befragten etwa gleichmäßig auf die Klassenstufen (vierte Klasse: n = 561, fünfte Klasse: n = 582, sechste Klasse: n = 570).

Über alle drei Kohorten hinweg lag der Gesamtstichprobenumfang bei N = 4450. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Kohorten hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses, χ²(2) = 0.65, p = .723. Die Altersspanne der Gesamtstichprobe erstreckte sich von 6 bis 14 Jahren (M = 10.19, SD = 1.32). Auch hinsichtlich des durchschnittlichen Alters lagen keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Kohorten vor, F‍(2, 4445) = 0.94, p = .391.

Messinstrumente 

Der Untersuchung lagen der Fragebogen zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindesalter (SSK; Lohaus et al., 1996) sowie dessen Neukonstruktion als Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter (SSKJ 3 – 8; Lohaus et al., 2006) und Revision (SSKJ 3 – 8-R; Lohaus et al., 2018) zugrunde. Sowohl die ursprüngliche Fragebogenversion als auch die Neuauflagen basieren theoretisch auf der transaktionalen Stresstheorie (Lazarus, 1981; Lazarus & Folkman, 1984). Die drei Fragebogenversionen sind inhaltlich ähnlich aufgebaut, unterscheiden sich aber zum Teil in der Anzahl der Items oder der Subskalen. In die Analyse wurden jeweils nur die Items aufgenommen, die über alle drei Erhebungszeitpunkte gleichgeblieben sind (s. Tabelle 1). Es handelt sich dabei um die Skalen zum Stresserleben und zur physischen Stresssymptomatik. Die Coping-Skalen, die ebenfalls in allen Fragebogenauflagen enthalten sind, konnten keine Verwendung finden, weil hier über die verschiedenen Auflagen hinweg größere Änderungen vorgenommen wurden (vor allem von der ersten zur zweiten Auflage), die die Vergleichbarkeit stark einschränken. Aus der Sicht der transaktionalen Stresstheorie stehen damit im Wesentlichen die Situationsbewertungen im Rahmen der primären Bewertung sowie die Stressreaktionen im Vordergrund.

Tabelle 1 Einbezogene Items der Skalen zu Stresserleben und physischer Stresssymptomatik, deren Mittelwerte und Standardabweichungen (Klammern) in den drei Kohorten

Stresserleben. Mit dieser Skala wird das Ausmaß des aktuellen Stresserlebens erfasst. Die Items (s. Tabelle 1) stellen potenzielle Alltagsstressoren aus dem sozialen und leistungsbezogenen Bereich dar. Auf die Frage „Wie viel Stress hast du, wenn dir so was passiert?“ stehen den Befragten jeweils vier Antwortmöglichkeiten (1 = gar keinen Stress, 2 = wenig Stress, 3 = viel Stress, 4 = sehr viel Stress) zur Verfügung. Für Kohorte 1 lag Cronbachs α bei .66, für Kohorte 2 bei .68 und für Kohorte 3 bei .66. In der Originalversion lagen die Werte bei .69, .66 und .70, wobei die Abweichungen dadurch zustande kommen, dass bei den hier vorgenommenen Auswertungen nur die Items einbezogen wurden, die über alle drei Erhebungszeitpunkte gleichgeblieben waren, und dass darüber hinaus die Siebt- und Achtklässler in den beiden neueren Fragebogen-Versionen ausgeschlossen wurden. Über alle drei Kohorten hinweg ergab sich eine interne Konsistenz von α = .67. Die Interkorrelationen der sechs Items in der Gesamtstichprobe lagen zwischen r = .20 und .40. Da die internen Konsistenzen allenfalls zufriedenstellend ausfielen, wurde die Eindimensionalität der Skala in allen drei Kohorten überprüft. Dabei erwies sich die Skala sowohl nach dem Eigenwertkriterium als auch nach dem Scree-Test in allen Kohorten als eindeutig eindimensional (mit Varianzaufklärungen durch den ersten Faktor zwischen 37.2 und 38.8 %). Die Skala zum Stresserleben wurde in der zweiten und dritten Auflage des SSK-Fragebogens als Stressvulnerabilität bezeichnet, weil die Items die Neigung indizieren, auf spezifische Anforderungen mit einem Stresserleben zu reagieren. Um eine einheitliche Terminologie zu verwenden, wird in dieser Studie jedoch durchweg vom Ausmaß des Stresserlebens gesprochen.

Physische Stresssymptomatik. Die Items zur physischen Stresssymptomatik (s. Tabelle 1) fragen nach verschiedenen körperlichen Beschwerden in Bezug auf die vergangene Woche. Die Auftretenshäufigkeit der einzelnen Symptome wird dabei auf einer dreistufigen Antwortskala (1 = keinmal, 2 = einmal, 3 = mehrmals) eingeschätzt. Die interne Konsistenz der Subskala lag für die Kohorte 1 bei α = .65, für Kohorte 2 bei α = .72 und für Kohorte 3 bei α = .66. Die Vergleichswerte für die Originalversion lagen bei .67, .71 und .67, wobei Abweichungen auch hier durch den ausschließlichen Einbezug identischer Items und identischer Altersstichproben zu erklären sind. Für die Gesamtstichprobe der aktuellen Studie ergab sich ein Cronbachs α von .67. Die Interkorrelationen der Items in der Gesamtstichprobe lagen zwischen r = .20 und .39. Wie bei der Skala zum Stresserleben kann auch hier in allen drei Kohorten von Eindimensionalität ausgegangen werden (sowohl nach dem Eigenwertkriterium als auch nach dem Scree-Test). Die Varianzaufklärungen durch den ersten Faktor lagen zwischen 36.8 und 42.4 %.

Statistische Analysen

Die statistischen Analysen wurden mit dem Programm R-Studio (Version 1.3.959; RStudio Team, 2020) unter Verwendung der Pakete lavaan (Rosseel, 2012), mvn (Korkmaz, Goksuluk & Zararsiz, 2014), psych (Revelle, 2020) sowie semTools (Jorgensen, Pronprasertmanit, Schoemann & Rosseel, 2020) durchgeführt.

Fehlende Werte und Ausreißer. Der prozentuale Anteil fehlender Werte auf Itemebene lag bei ≤ 1 % und der MCAR-Test nach Little (1988) erwies sich für beide Skalen als nicht signifikant (Stresserleben: χ²(54) = 50.58, p = .607; Stresssymptomatik: χ²(28) = 15.85, p = .968), so dass keine Imputation fehlender Werte erforderlich war. Die Daten wurden mittels Boxplot-Analysen auf mögliche Ausreißer getestet. Die Ergebnisse waren unauffällig, so dass auf dieser Basis keine Fälle ausgeschlossen werden mussten.

Messinvarianz (Fragestellung 1). Zur Untersuchung der Fragestellung wurden Mehrgruppenanalysen konfirmatorischer Faktorenmodelle berechnet. Dabei wurden die Messmodelle für die Skalen zum Stresserleben und zur physischen Stresssymptomatik getrennt voneinander betrachtet. Zu Identifikationszwecken wurde die Ladung jeweils einer manifesten Variablen auf 1 sowie der Erwartungswert der latenten Variablen auf 0 festgelegt. Da die Voraussetzung multivariater Normalverteilung nicht gegeben war, wurde der Maximum-Likelihood-Robust-Schätzer (MLR) zur Parameterschätzung verwendet. Zur Beurteilung der Modellgüte wurden neben dem χ2-Test, der bei großen Stichproben schon bei geringen Abweichungen zu einer Ablehnung des Modells führt (Schermelleh-Engel, Moosbrugger & Müller, 2003), weitere deskriptive Fit-Indizes herangezogen. Aufgrund des verwendeten MLR-Schätzers werden im Ergebnisteil die robusten Fit-Indizes berichtet. Die Modellpassung wurde als gut (bzw. akzeptabel) bewertet, wenn der CFI ≥ .97 (.95), der RMSEA ≤ .05 (.08) und der SRMR ≤ .05 (.10) war (zusammenfassend Schermelleh-Engel et al., 2003).

Im ersten Schritt wurden die Modelle für (a) Stresserleben und (b) physische Stresssymptomatik hinsichtlich ihrer Messinvarianz analysiert (Fragestellung 1). Es werden dabei verschieden strikte Formen unterschieden: Konfigurale Messinvarianz gilt als Voraussetzung für striktere Formen der Invarianz und besagt, dass in allen Kohorten das gleiche Modell zu den Daten passt, die Parameter aber zwischen den Gruppen variieren können. Schwache bzw. metrische Invarianz liegt vor, wenn die Faktorladungen der manifesten Variablen in allen Kohorten gleich sind. Starke bzw. skalare Invarianz kann angenommen werden, wenn darüber hinaus auch die Intercepts der manifesten Variablen in allen Kohorten identisch sind. Ist skalare Invarianz gegeben, bestehen keine itemspezifischen Schwierigkeitsunterschiede und die latenten Mittelwerte der Kohorten können sinnvoll miteinander verglichen werden (Kleinke, Schlüter & Christ, 2017; Temme & Hildebrandt, 2009). Da vollständige skalare Messinvarianz in der Praxis selten gegeben ist, haben Byrne, Shavelson und Muthén (1989) den Ansatz der partiellen Invarianz entwickelt, der es erlaubt, dass ein Teil der Parameter nicht invariant sein muss. Für sinnvolle Vergleiche der latenten Mittelwerte sollten dabei jedoch mindestens zwei manifeste Variablen des latenten Konstruktes über vollständige metrische und skalare Messinvarianz verfügen (Byrne et al., 1989; Steenkamp & Baumgartner, 1998).

Um das Vorliegen konfiguraler Messinvarianz in der aktuellen Studie zu prüfen, wurden zunächst pro Skala und Kohorte separate Messmodelle spezifiziert und hinsichtlich der Modellpassung beurteilt. Für die Überprüfung der weiteren Formen der Messinvarianz wurde der Step-Up Ansatz gewählt (Kleinke et al., 2017). Dazu wurde pro Skala ein Messmodell für die Gesamtstichprobe als Mehrgruppenanalyse spezifiziert, bei der alle Parameter, bis auf die zu Identifikationszwecken festgelegten, frei innerhalb der drei Kohorten geschätzt wurden. Danach wurden Schritt für Schritt die Parameter (Faktorladungen, Intercepts) zwischen den Kohorten gleichgesetzt. Um die jeweilige Form der Messinvarianz als gegeben anzusehen, darf sich das restriktivere Modell hinsichtlich seiner Modellgüte nicht signifikant von der des weniger restriktiven Modells unterscheiden. Dies wurde mittels Satorra-Bentler skaliertem χ²-Differenztest (Satorra & Bentler, 2001) überprüft. Da dieser Test jedoch stichprobensensitiv ist und bereits kleine Modellverschlechterungen bei großen Stichproben zu einem signifikanten Ergebnis führen (Schermelleh-Engel et al., 2003), wurden die Modellvergleiche hauptsächlich auf Basis der rule of thumb nach Chen (2007; zusammenfassend Schwab & Helm, 2015) beurteilt. Sinkt der CFI um nicht mehr als .02 Einheiten und steigt der RMSEA um nicht mehr als .015 Einheiten, so kann das restriktivere Modell im Vergleich zum weniger restriktiven Modell die Datenstruktur gleichgut widerspiegeln und sollte gemäß dem Prinzip der Sparsamkeit bevorzugt werden. Hinsichtlich der Testung auf partielle Invarianz wurde geprüft, bei welcher Variablen die Parameterrestriktion (Faktorladung bzw. Intercept) mit der größten CFI-Verschlechterung einhergeht. Eine schrittweise Aufhebung der Restriktionen erfolgte so lange, bis die Veränderungen von CFI und RMSEA innerhalb der oben beschriebenen Grenzen lagen.

Vergleich latenter Mittelwerte (Fragestellung 2). Zur Beantwortung der Frage, ob sich die Ausprägung (a) des Stresserlebens und (b) der physischen Stresssymptomatik in den drei Kohorten unterscheidet, wurde jeweils ein latenter Mittelwert einer Kohorte auf 0 fixiert und geprüft, um wie viele Standardabweichungseinheiten die Mittelwerte der anderen beiden Kohorten davon abweichen. Die ermittelten Unterschiede zwischen den latenten Mittelwerten zweier Kohorten wurden anhand der z-Statistik und auf Grundlage eines α-Niveaus von .05 auf Signifikanz getestet. Als Effektstärkenmaße wurde das Differenzmaß d (vernachlässigbarer Effekt: d < .20; kleiner Effekt: .20 ≤ d < .50; mittlerer Effekt: .50 ≤ d < .80; großer Effekt: d ≥ .80; Cohen, 1988) ermittelt.

Da Korrelationsanalysen vor allem für die Geschlechtsvariable substanzielle Zusammenhänge mit Stresserleben und Stresssymptomatik zeigten, wurde diese Variable in allen Analysen (Messinvarianzprüfungen und Mittelwertvergleiche) als Kontrollvariable aufgenommen, um mögliche Effekte dieser Variablen auf die Kohortenvergleiche auszuschließen. Für das Alter, das ebenfalls theoretisch als Kontrollvariable in Frage gekommen wäre, zeigten die Korrelationsanalysen eine Varianzaufklärung < 1 %, so dass auf eine Aufnahme als Kontrollvariable verzichtet wurde. Bei multiplen Mittelwertvergleichen wurden Bonferroni-Korrekturen vorgenommen, um einer Alphafehler-Kumulierung entgegenzuwirken.

Ergebnisse

Voranalysen

Die deskriptiven Statistiken der Items und der manifesten Gesamtmittelwerte zum Stresserleben und zur physischen Stresssymptomatik sind in Tabelle 1 dargestellt. Für die Skala zum Stresserleben ließ sich sowohl in den manifesten Gesamtmittelwerten als auch mehrheitlich auf Ebene der Einzelitems eine Zunahme der Höhe über die Zeit hinweg verzeichnen. Die einfaktorielle Kovarianzanalyse auf Basis der manifesten Gesamtmittelwerte unter Kontrolle des Geschlechts ergab einen signifikanten Effekt der Kohortenzugehörigkeit auf die Ausprägung des Stresserlebens, F‍(2, 4417) = 46.16, p < .001, eta2 = .02. Die (adjustierten) Mittelwerte und Standardabweichungen (in Klammern) lagen bei 2.45 (0.56) in Kohorte 1, bei 2.52 (0.58) in Kohorte 2 und bei 2.65 (0.56) in Kohorte 3. Anschließende post-hoc Tests mit Korrektur nach Bonferroni zeigten signifikante Unterschiede zwischen den Kohorten 1 und 2 (p = .005, d = .13), zwischen den Kohorten 2 und 3 (p < .001, d = .21) sowie zwischen den Kohorten 1 und 3 (p < .001, d = .35). Auf der Basis der Effektstärken ergibt sich beim Vergleich der Kohorten 1 und 2 ein vernachlässigbarer Effekt, bei den beiden anderen Vergleichen liegen kleine Effekte vor (Cohen, 1988). Für die physische Stresssymptomatik waren auf deskriptiver Ebene nur geringfügige Unterschiede zwischen den Kohorten zu erkennen. Die entsprechenden (adjustierten) Mittelwerte und Standardabweichungen lagen bei 1.62 (0.46) in Kohorte 1, bei 1.62 (0.47) in Kohorte 2 und bei 1.63 (0.46) in Kohorte 3. Die einfaktorielle Kovarianzanalyse auf Basis der manifesten Gesamtmittelwerte unter Kontrolle des Geschlechts zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kohorten, F‍(2, 4405) = 0.48, p = .622, eta2 < .01.

Messinvarianz (Fragestellung 1)

Zur Überprüfung der Voraussetzung (partieller) skalarer Messinvarianz für einen Vergleich latenter Mittelwerte wurden die Modelle für (a) das Stresserleben und (b) die physische Stresssymptomatik diesbezüglich analysiert.

Stresserleben. Im Rahmen der Überprüfung konfiguraler Messinvarianz für die Skala Stresserleben zeigten sich signifikante χ²-Tests in allen drei Kohorten, Kohorte 1: χ²(14, n = 946) = 61.36, p < .001, CFI = .925, RMSEA = .062, SRMR = .037; Kohorte 2: χ²(14, n = 1300) = 69.08, p < .001, CFI = .942, RMSEA = .057, SRMR = .032; Kohorte 3: χ²(14, n = 2141) = 99.90, p < .001, CFI = .939, RMSEA = .056, SRMR = .029. Der CFI lag in allen Modellen geringfügig unterhalb des Grenzwertes für eine gute Modellpassung. Der RMSEA sowie der SRMR befanden sich hingegen in allen Modellen in einem guten bis akzeptablen Bereich. Insgesamt kann daher von einer hinreichend guten und vergleichbaren Modellpassung in allen drei Kohorten und dem Vorliegen der konfiguralen Messinvarianz ausgegangen werden. Die Ergebnisse der Modellvergleiche zur Überprüfung der metrischen und skalaren Messinvarianz sind in Tabelle 2 dargestellt. Das Vorliegen vollständiger metrischer Invarianz kann angenommen werden, da zum einen der χ²-Differenztest nicht signifikant ausfiel und zum anderen die Veränderungen von CFI und RMSEA innerhalb der festgelegten Grenzen lagen. Bezüglich des RMSEA war sogar eine Verbesserung zu beobachten. Das zusätzliche Restringieren der Item-Intercepts im Sinne der skalaren Invarianz führte hingegen zu einer starken Modellverschlechterung. Dies ist sowohl am signifikanten Ergebnis des χ²-Differenztests als auch an den deutlich oberhalb der Grenzwerte liegenden Verschlechterungen von CFI und RMSEA zu erkennen. Das Freisetzen der Intercepts von drei manifesten Variablen (Items 1, 5 und 4) war notwendig, um die partielle skalare Invarianz zu erreichen. Bei diesem Modell verschlechterte sich der CFI im Vergleich zum Modell der metrischen Invarianz um weniger als .02 Einheiten bei gleichzeitiger Berücksichtigung des RMSEA, der um weniger als .015 Einheiten zunahm. Das Ergebnis des χ²-Differenztests, welches im Gegensatz dazu auf eine schlechtere Passung des restriktiveren Modells hinweist, kann aufgrund der Anfälligkeit für Verzerrungen in großen Stichproben an dieser Stelle vernachlässigt werden.

Tabelle 2 Überprüfung der Messinvarianz der Skala Stresserleben

Physische Stresssymptomatik. Die Überprüfung des Vorliegens konfiguraler Messinvarianz für die Skala physische Stresssymptomatik ergab signifikante χ²-Tests in allen drei Kohorten, Kohorte 1: χ²(14, n = 949) = 51.39, p < .001, CFI = .937, RMSEA = .055, SRMR = .030; Kohorte 2: χ²(14, n = 1313) = 57.15, p < .001, CFI = .965, RMSEA = .051, SRMR = .027; Kohorte 3: χ²(14, n = 2132) = 103.89, p < .001, CFI = .938, RMSEA = .057, SRMR = .029. Die Fit-Indizes lagen jedoch für alle Modelle in einem akzeptablen bis guten Bereich. Ausnahmen bildeten lediglich der CFI in Kohorte 1 sowie in Kohorte 3. Insgesamt kann auch hier von einer guten Passung aller drei Modelle und damit vom Vorliegen konfiguraler Messinvarianz ausgegangen werden.

Die Ergebnisse der Modellvergleiche zur Überprüfung metrischer und skalarer Messinvarianz sind in Tabelle 3 dargestellt und lassen darauf schließen, dass metrische Invarianz gegeben ist. Zwar fiel der χ²-Differenztest signifikant aus, doch lag die Verschlechterung des CFI innerhalb der definierten Grenzen. Die Verbesserung des RMSEA sprach zusätzlich dafür, dass das restriktivere Modell der metrischen Invarianz die Datenstruktur gleichgut widerspiegelt. Vergleicht man dieses Modell mit dem Modell, bei dem (neben den Ladungen) zusätzlich die Intercepts der manifesten Variablen gleichgesetzt sind, fiel der χ²-Differenztest signifikant aus. Zudem verschlechterte sich der CFI in zu hohem Maße (.024). Dementsprechend lag keine vollständige skalare Invarianz vor. Nach der Freisetzung des Intercepts einer manifesten Variablen (Item 5) zeigte sich eine geringere Verschlechterung des CFI, die innerhalb der vorgegebenen Grenzen lag. Zwar fiel der χ²-Differenztest nach wie vor signifikant aus, jedoch sollte dies aufgrund der Stichprobensensitivität weniger stark gewichtet werden. Dementsprechend kann auch für die Skala physische Stresssymptomatik von partieller skalarer Messinvarianz ausgegangen werden.

Tabelle 3 Überprüfung der Messinvarianz der Skala physische Stresssymptomatik

Vergleich latenter Mittelwerte (Fragestellung 2)

Mit dem Vorliegen partieller skalarer Messinvarianz ist für beide Skalen die Voraussetzung für sinnvolle Vergleiche der latenten Mittelwerte zwischen den Kohorten gegeben. Hinsichtlich der Skala (a) Stresserleben waren dabei keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kohorten zu erkennen. Rein deskriptiv war eine minimale Abnahme in der Höhe der Ausprägung in Kohorte 2 im Vergleich zu der Kohorte 1 zu verzeichnen. So lag der latente Mittelwert in Kohorte 2 um 0.05 Standardabweichungseinheiten niedriger als in Kohorte 1. Dieser Unterschied erwies sich als nicht signifikant (z = -0.65, p = .518). Vergleicht man die Kohorten 1 und 3, ließ sich eine nicht signifikante Abnahme um 0.03 Standardabweichungseinheiten von Kohorte 1 zu Kohorte 3 verzeichnen (z = -0.41, p = .679). Die Kohorten 2 und 3 unterschieden sich dahingehend, dass der latente Mittelwert in Kohorte 3 um 0.02 Standardabweichungseinheiten höher ausfiel als der in Kohorte 2. Auch diese Differenz erwies sich als nicht signifikant (z = 0.33, p = .743).

Für die Skala (b) physische Stresssymptomatik ließ sich deskriptiv eine Zunahme über die Zeit hinweg, insbesondere in Bezug auf Kohorte 3, beobachten. Kohorte 2 verfügte im Vergleich zu Kohorte 1 über eine um 0.01 Standardabweichungseinheiten höher liegende latente mittlere Ausprägung der physischen Stresssymptomatik. Dieser Unterschied war nicht signifikant (z = 0.09, p = .925). Der latente Mittelwert in Kohorte 3 war hingegen um 0.14 Standardabweichungseinheiten und signifikant höher als der latente Mittelwert in Kohorte 1 (z = 2.36, p = .018, d = .07). Auch die Kohorten 2 und 3 unterschieden sich signifikant voneinander (z = 2.39, p = .017, d = .07), rein deskriptiv lag der latente Mittelwert in Kohorte 3 dabei um 0.14 Standardabweichungseinheiten höher als der in Kohorte 2. Nimmt man auch hier – wie in den Voranalysen – eine Bonferroni-Korrektur vor, ist zu konstatieren, dass es insgesamt zu keinen signifikanten Veränderungen über die Zeit hinweg kommt. Die Veränderungen (zwischen Kohorte 1 und 3 sowie zwischen Kohorte 2 und 3) erwiesen sich nach der Korrektur als statistisch nicht bedeutsam (jeweils p′ > .016 bei insgesamt drei Vergleichen im Rahmen der Fragestellung 2b nach Bonferroni-Korrektur; kritischer Wert: Alpha/3).

Diskussion

Die Überprüfung der Messinvarianz (Fragestellung 1) zeigte konfigurale und vollständige metrische Invarianz sowohl für die Skala zum Stresserleben als auch zur physischen Stresssymptomatik. Dabei spricht die konfigurale Invarianz dafür, dass das statistische Modell in allen Kohorten die gleiche Struktur aufweist. Da auch metrische Invarianz gilt, kann zusätzlich davon ausgegangen werden, dass die Konstrukte in allen drei Kohorten die gleiche inhaltliche Bedeutung besitzen und dass sie damit in gleicher Weise interpretiert werden können. Inhaltlich bedeutet dies gleichzeitig, dass sich die erhobenen Konstrukte trotz der möglichen gesellschaftlichen, schulischen und medialen Veränderungen über die Erhebungszeitpunkte hinweg nicht unterscheiden und dass damit das Verständnis zum Stresserleben und zur Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen vergleichbar geblieben ist. Für das Messinstrument bedeutet dies ferner, dass es unverändert über die Zeit hinweg einsetzbar ist.

Die nächsthöhere Form der Messinvarianz, die skalare Invarianz, konnte für das Stresserleben und die physische Stresssymptomatik nur partiell nachgewiesen werden. Da diese Form der Messinvarianz nur selten gegeben ist, genügt jedoch das Vorliegen von partieller skalarer Invarianz als Voraussetzung für latente Mittelwertvergleiche (Byrne et al., 1989). Für die Skala Stresserleben mussten die Intercepts von drei manifesten Variablen freigesetzt werden und für die physische Stresssymptomatik der Intercept einer Variablen. Dies bedeutet, dass für diese Items Schwierigkeitsunterschiede zwischen den Kohorten bestehen. Die Itemschwierigkeit bildet dabei den Anteil der Personen ab, die ein jeweiliges Item bejahen bzw. korrekt beantworten (Eid, Gollwitzer & Schmitt, 2015). Beim Stresserleben waren es Item 1 („andere reden in der Pause schlecht über dich“), Item 4 („du bekommst einen Test zurück und hast eine schlechte Note“) und Item 5 („du hast einen heftigen Streit mit einem Freund/einer Freundin“), bei denen jeweils die Intercepts freigesetzt werden mussten. Bei diesen Items ließ sich wiederum auf deskriptiver Ebene die stärkste Veränderung, jeweils in Form eines Zuwachses über die Zeit hinweg, beobachten. Bei der physischen Stresssymptomatik verhielt es sich ähnlich. Hier fielen auf deskriptiver Ebene die Veränderungen bei den Items 2 („Bauchweh“) und 5 („Übelkeit“) am größten aus. Item 2 zeigte den stärksten Zuwachs, Item 5 die stärkste Abnahme. Hinsichtlich der Überprüfung der partiellen skalaren Invarianz musste nur der Intercept des Items 5 freigesetzt werden, wobei die Verschlechterung des CFI bezüglich des Items 2 vergleichbar hoch ausfiel. Bei diesen Items waren also die stärksten Veränderungen über die Zeit hinweg zu beobachten (wie auch Tabelle 1 erkennen lässt).

Zu den Unterschieden im Ausmaß des Stresserlebens und der physischen Stresssymptomatik zwischen den Kohorten (Fragestellung 2) wiesen die latenten Mittelwerte nach Bonferroni-Korrektur weder beim Stresserleben noch bei der Stresssymptomatik auf signifikante Veränderungen über die Zeit hinweg hin. Damit unterschieden sich insbesondere für das Stresserleben die Ergebnisse von denen, die auf Basis der manifesten Gesamtmittelwerte ermittelt wurden. Auf manifester Ebene unterschieden sich die Mittelwerte aller Kohorten signifikant, wenn auch schwach voneinander. Die nicht einheitlichen Ergebnisse verdeutlichen den bereinigenden Effekt der Nutzung von latenten Werten und heben damit deren Stellenwert hervor (Steinmetz, 2013).

Das Stresserleben und die physische Symptomatik waren positiv miteinander assoziiert, wobei die Korrelation in der vorliegenden Studie bezogen auf die Gesamtstichprobe bei r = .23 (p < .001) lag. Ob dabei eine Zunahme des Stresserlebens eine Zunahme der physischen Stresssymptomatik bedingt oder umgekehrt die Höhe der Stresssymptomatik einen Einfluss auf das Stresserleben hat, kann mit dem vorliegenden Studiendesign nicht festgestellt werden. Der Zusammenhang weist jedoch darauf hin, dass die erhobenen physischen Symptome zumindest teilweise Ausdruck eines Stresserlebens sein dürften. Es ist jedoch zu bedenken, dass hier auch weitere Einflussfaktoren eine Rolle spielen (s. auch Lohaus, Beyer & Klein-Heßling, 2004). So können die Symptomatiken beispielsweise auch als Folge von körperlichen Erkrankungen auftreten.

Grundsätzlich weisen die Ergebnisse nicht darauf hin, dass das Ausmaß des Stresserlebens und der physischen Stresssymptomatik über die vergangenen Jahrzehnte zugenommen hat. Dieser Befund steht im Einklang mit den Ergebnissen der repräsentativen HBSC-Studie, die zumindest für den Bereich potenziell stressbezogener Symptome allenfalls einen leichten Anstieg über die Zeit berichtet (Ottova et al., 2012; HBSC-Studienverbund Deutschland, 2020). Obwohl es viele Hinweise auf erhöhte Anforderungen im Kindes- und Jugendalter gibt, scheint sich dies nicht sehr deutlich im subjektiven Stresserleben und in stressbezogenen Symptomen niederzuschlagen. Ein möglicher Grund könnte darin gesehen werden, dass die in dieser Studie berücksichtigten Items des SSKJ nicht sensitiv genug sind, um Änderungen des Stresserlebens abzubilden. Gegen diese Erklärung spricht jedoch, dass sich der SSKJ in verschiedenen Studien zur Evaluation von Stressbewältigungstrainings als änderungssensitiv erwiesen hat (siehe u. a. Klein-Heßling & Lohaus, 2021; Lohaus, Fridrici & Maass, 2009). Wahrscheinlicher scheint dagegen zu sein, dass viele Kinder und Jugendliche über ausreichende individuelle und soziale Ressourcen verfügen, um in einem gewissen Rahmen mit erhöhten Anforderungen umzugehen.

Eine mögliche Limitation dieser Studie ist darin zu sehen, dass die Modellpassungen nicht durchweg gut ausfallen. Die Fit-Indizes liegen teilweise nur im akzeptablen Bereich und vereinzelt außerhalb der Richtlinien für eine gute Modellpassung. Bezogen auf die Messinvarianzprüfung existieren unterschiedliche Richtlinien zur Beurteilung der Modellgüte (zusammenfassend Putnick & Bornstein, 2016). Zum Teil fallen diese strenger aus als die für diese Studie genutzten Kennwerte. Zudem wurde ein exploratives Vorgehen hinsichtlich der Freisetzung der einzelnen Parameter im Rahmen der Überprüfung der partiellen skalaren Invarianz gewählt. Eine theoriebezogene Vorgehensweise wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen (Vandenberg & Lance, 2000), konnte jedoch wegen des Fehlens einer theoretischen Grundlage nicht realisiert werden.

Eine weitere Limitation könnte darin bestehen, dass die Stichproben möglicherweise nicht vergleichbar sein könnten. Es wäre wünschenswert gewesen, neben Alter und Geschlecht beispielsweise Daten zum sozioökonomischen Status der Eltern, zum Migrationshintergrund, zur besuchten Schulform und zu weiteren psychologischen Konstrukten verfügbar zu haben. Man sollte dabei aber berücksichtigen, dass die vorliegenden Daten an allen drei Zeitpunkten ursprünglich lediglich zur Normierung des Fragebogens vorgesehen waren. Um möglichst wenig Zeit im Schulunterricht zu verbrauchen und um den Zugang zu Schulen zu erleichtern, wurden daher in der Regel nur die zur Normierung unbedingt notwendigen Daten erhoben. Obwohl es sich hier um sehr große Stichproben handelt, die in wichtigen Parametern (wie Alter und Geschlecht) und auch von den Regionen her, in denen die Erhebungen stattfanden, vergleichbar sind, bleibt daher unklar, ob weitere bzw. welche weiteren Parameter Einfluss auf die Ergebnisse genommen haben könnten.

Es ist auch zu bedenken, dass es ebenfalls nicht möglich ist, potenzielle Einflüsse zeithistorischer Ereignisse und gesellschaftlicher bzw. sozialer Veränderungen zu berücksichtigen. So hat es beispielsweise allein im schulischen Bereich über die letzten 20 Jahre hinweg vielfältige Veränderungen gegeben. Unter anderem ist die Anzahl der Hauptschulen in Deutschland in den Jahren 2006 bis 2019 von 4812 auf 1915 deutlich zurückgegangen (Statistisches Bundesamt, 2020). Die Anteile der Schulformen haben sich demnach über die Zeit hinweg verändert, wobei unklar ist, wie sich dies auf die erhobenen Daten ausgewirkt haben kann. Auch zeithistorische Ereignisse können theoretisch die Daten beeinflussen. Es ist also festzuhalten, dass drei Zeiträume auf der Basis vergleichsweise repräsentativer Daten miteinander verglichen werden, ohne dass weitergehende Einflussfaktoren berücksichtigt werden können.

Weiterhin ist zu erwähnen, dass – neben der physischen Stresssymptomatik – auch die Betrachtung psychischer Symptome interessant gewesen wäre. In einer Analyse von säkularen Trends über die Zeitspanne zwischen 1974 und 2016 auf der Basis der Normdaten des Angstfragebogens für Schüler (AFS; Wieczerkowski et al., 1974, 2016) zeigte sich beispielsweise eine leichte Abnahme der Prüfungsangst, aber eine Zunahme der Schulunlust (Nitkowski, Lohbeck, Petermann & Petermann, 2017). Es ist also zu vermuten, dass sich auch bei stressbezogenen psychischen Symptomen Veränderungen ergeben könnten. Dies konnte in der vorliegenden Studie jedoch nicht abgebildet werden, weil erst in der zweiten Auflage des Stressfragebogens (Lohaus et al., 2006) eine Skala zur psychischen Symptomatik aufgenommen wurde.

Kritisch ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die internen Konsistenzen der verwendeten Skalen suboptimale Größenordnungen erreichten. Sowohl beim Stresserleben als auch bei der physischen Symptomatik werden heterogene Inhaltsbereiche erfasst, um das jeweilige Konstrukt breit abbilden zu können. Dies geht erwartbar mit Einschränkungen hinsichtlich der Reliabilitäten einher. Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass Eindimensionalität bei beiden Skalen an allen drei Messzeitpunkten eindeutig gegeben ist (wie auch die Analysen in den Fragebogenmanualen belegen).

Obwohl es keine Hinweise auf eine Zunahme des Stressgeschehens bei Kindern und Jugendlichen im Zeitraum von 1996 bis 2018 gab, ist dennoch festzuhalten, dass repräsentative Befragungen zum Stresserleben im Kindes- und Jugendalter darauf hinweisen, dass es einen relativ hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen gibt, der über ein hohes Stresserleben berichtet (Beisenkamp, Müthing, Hallmann & Klöckner, 2012; Ziegler, 2015). Auch wenn sich durchschnittlich keine gravierenden Veränderungen über die Zeit hinweg erkennen lassen, gibt es in jeder Kohorte sehr wohl Kinder und Jugendliche, die deutlichen Stress erleben, der wiederum – vor allem bei länger andauerndem oder intensivem Stresserleben – die Grundlage für das Entstehen von Psychopathologien bilden kann (Heinrichs & Lohaus, 2020).

Es kann daher sinnvoll sein, Kinder und Jugendliche rechtzeitig mit Möglichkeiten zur Stressbewältigung vertraut zu machen. Selbst wenn aktuell kein hohes Stresserleben vorliegt, ist zumindest längerfristig (z. B. im Erwachsenenalter) mit Stresserfahrungen zu rechnen. Es geht dabei nicht nur um die aktuelle Stressbewältigung, sondern auch um die Vorbereitung auf künftige Stressoren und potenzielles künftiges Stresserleben (Lohaus, 2018b).

Das vorrangige Ziel kann es dabei nicht sein, Kindern und Jugendlichen jegliches Stresserleben zu ersparen, weil ein Stresserleben in einem gewissen Maß adaptive Funktionen erfüllt und der Umgang mit Stress auch Lernerfahrungen im Hinblick auf den Aufbau von Stressbewältigungsstrategien ermöglicht. Es geht vielmehr darum, Überforderungen zu vermeiden und präventiv die Grundlage für einen angemessenen Umgang mit potenziell stresserzeugenden Ereignissen zu legen.

Um eine gezieltere Präventionsarbeit leisten zu können, ist es sinnvoll, beispielsweise in zeitlich kürzer angelegten prospektiven Längsschnittstudien systematisch nach Einflussparametern zu suchen, die zu Unterschieden im Stresserleben (und in den Stresssymptomatiken) führen. Vor allem, wenn dabei potenziell veränderbare Einflussparameter in den Blick genommen werden, können diese Befunde für die Präventionsarbeit genutzt werden.

Literatur