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Open AccessOriginalarbeit

Mütterliche Depressivität im kindlichen Entwicklungsverlauf: Eine prospektive Betrachtung von Auswirkungen, Risiko- und Schutzfaktoren

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000866

Abstract

Zusammenfassung.Fragestellung: Psychische Belastungen der Mutter während der Schwangerschaft und im weiteren Verlauf beeinflussen die kindliche Entwicklung. Depressive Symptome der Mutter gelten hierbei als Risikofaktor für Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten des Kindes. Längsschnittliche Zusammenhänge depressiver Symptome der Mutter mit Auffälligkeiten im Kindes-/Jugendalter werden untersucht. Methodik:N = 112 Mütter wurden zu depressiven Symptomen (pränatal, T1; postnatal, T2; Grundschulalter, T3; Jugendalter, T4) befragt. Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten der Kinder wurden von den Müttern im Kindes- und Jugendalter eingeschätzt. Die Zusammenhänge zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichen Auffälligkeiten wurden mittels Regressionsmodellen betrachtet, Moderationsmodelle relevanter Risiko-/Schutzfaktoren wurden analysiert. Ergebnisse: Kindliche Auffälligkeiten im Grundschulalter waren nicht direkt mit mütterlicher Depressivität assoziiert, jedoch zeigten sich Zusammenhänge für Auffälligkeiten im Jugendalter. Der sozioökonomische Status (SÖS) der Familien zeigte ein unterschiedliches Risikoprofil für pränatale und postpartale Depressivität. Der Intelligenzquotient der Kinder erwies sich als Risikofaktor für emotionale Auffälligkeiten. Schlussfolgerungen: Mütterliche Depressivität wirkt sich risikoabhängig zu jedem Zeitpunkt auf das kindliche Erleben/Verhalten aus. Früherkennung mütterlicher Depressivität und eine Entwicklung von Interventionsprogrammen, welche zwischen pränataler und postpartaler Depressivität differenzieren, sind – besonders im Kontext des SÖS – hoch relevant für die kindliche Entwicklung.

Maternal depression and child development: A prospective analysis of consequences, risk and protective factors

Abstract.Objective: Maternal stress, specifically maternal mental health problems, are considered risk factors for child development. The literature suggests that prenatal depressive symptoms as well as depressive symptoms are a widespread phenomenon during the further development of the child and have repeatedly been shown to have adverse effects on child mental health outcomes. The present study examined the longitudinal relationships between maternal depression (prenatal, postnatal, during childhood and adolescence) and child mental health from childhood to adolescence. Possible risk and protective factors were also considered. Method:N = 112 mothers were assessed for depressive symptoms via a questionnaire at four different timepoints (prenatal, T1; postnatal, T2; during childhood, T3; during adolescence, T4). Children’s externalizing and internalizing symptoms (50.9 % girls) were assessed by their mothers both during childhood (M = 7.68, SD = 0.76 years) and during adolescence (M = 13.23, SD = 0.27 years). We evaluated the relationships between maternal depressive symptoms and children’s externalizing/internalizing symptoms using multiple regression models and analyzed possible risk and protective factors using moderation analysis. Results: Externalizing/Internalizing symptoms were not directly associated with maternal depressive symptoms, while associations between such symptoms and maladaptive behavior were found in adolescents. The socioeconomic status of families showed a different risk profile for prenatal and postnatal depressive symptoms. The IQ of the children proved to be a risk factor for internalizing symptoms. Conclusions: Maternal depressive symptoms at any time during child development – in combination with further risk factors – have an impact on child mental health. The early identification of maternal symptoms followed by interventions to differentiate between prenatal and postnatal depression – especially in the context of socioeconomic status – are highly relevant for child development.

Einleitung

Depressive Symptome der Mutter und Entwicklungsauffälligkeiten beim Kind

Psychische Belastungen der Mutter stellen ein Risiko für die kindliche Entwicklung dar. Bereits in der pränatalen Phase zeigen sich Effekte mütterlichen Wohlbefindens auf die fetale Entwicklung. So postuliert die „Developmental Origins of Health and Disease“-Hypothese (DOHaD; Hanson & Gluckman, 2014) , dass pränatale Umweltreize zu grundlegenden Veränderungen im kindlichen Organismus führen können. Neuere Arbeiten zeigen dabei Einflüsse psychischer Symptome der schwangeren Frau auf die intrauterine Entwicklung (Burger, Hoosain, Einspieler, Unger & Niehaus, 2020; Monk, Lugo-Candelas & Trumpff, 2019; O‘Donnell & Meaney, 2017; Torbeyns, Claes, Morrens & Hompes, 2018; van den Bergh, Dahnke & Mennes, 2018), wobei verschiedene Wirkmechanismen (z. B. Hormonsystem, Immunsystem, Epigenetik; Rakers et al., 2017) diskutiert werden. Pränatale Depressivität ist hierbei ein häufiges Phänomen mit einer (länder- und schweregradabhängigen) Prävalenz zwischen 6 und 38 % und tritt im Vergleich zu postnatalen Depressionssymptomen vermehrt auf (Dagher, Bruckheim, Colpe, Edwards & White, 2021; Field, 2017). Pränatale Depressivität ist ein Risikofaktor für die kindliche Entwicklung – sei es durch ihre Assoziation mit einer zu frühen Geburt, einer verlangsamten kognitiven Entwicklung oder aber langfristigen Problemen im Erleben und Verhalten des Kindes (Eichler et al., 2017; Gentile, 2017; Ibanez et al., 2015; Madlala & Kassier, 2018). Unabhängig vom Entwicklungszeitpunkt des Kindes besteht ein Zusammenhang zwischen der Depressivität der Mutter und kindlichen Auffälligkeiten (S. H. Goodman et al., 2011; Morgan, Channon, Penny & Waters, 2021; Rogers et al., 2020; Wesselhoeft et al., 2020). Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl für das (frühe) Kindesalter (S. H. Goodman & Gotlib, 1999; Moss, Dobson & Mishra, 2020; Prenoveau et al., 2017; Szekely et al., 2020; Wall-Wieler, Roos & Gotlib, 2020) als auch für das Jugendalter (Donado, Friedrich, Kossowsky, Locher & Koechlin, 2020; Ewell Foster, Garber & Durlak, 2008; Korhonen, Luoma, Salmelin & Tamminen, 2014; Tirumalaraju et al., 2020).

Zugrundeliegende prä- und postnatale Wirkmechanismen

Dem Auftreten mütterlicher depressiver Symptome während der Schwangerschaft und im weiteren Entwicklungsverlauf nach Geburt des Kindes liegen zwei unterschiedliche Wirkmechanismen zugrunde. In der pränatalen Phase nehmen biologische Mechanismen, die infolge der mütterlichen Belastung verändert sind, über die Plazenta und andere Systeme Einfluss auf die Entwicklung des Ungeborenen. Als Wirkmechanismen wurden in der Vergangenheit hierbei Auswirkungen der neuroendokrinen Stressantwort sowie cortisollevelalterierende Gen-Umwelt-Interaktionen diskutiert (Stonawski et al., 2018; Stonawski et al., 2019; Stonawski et al., 2020). Aber auch die heritable Weitergabe von Risikogenen an die Kinder wurde als Mechanismus in Betracht gezogen (Hentges, Graham, Fearon, Tough & Madigan, 2020; Hentges, Graham, Plamondon, Tough & Madigan, 2019). Sobald das Kind auf der Welt ist, greifen interpersonale Wirkmechanismen wie eine veränderte Mutter-Kind-Interaktion und maladaptives Modelllernen des Neugeborenen (Field, 2010; Field, Healy, Goldstein & Guthertz, 1990; S. H. Goodman & Gotlib, 1999). Bezüglich der längerfristigen Wirkung depressiver Symptome der Mutter auf das Kind wird v. a. von komplexen interpersonalen bzw. psychosozialen Wirkmechanismen ausgegangen, die noch nicht umfassend erforscht sind.

Moderierende Risiko- und Schutzfaktoren

Mütterliches Erziehungsverhalten scheint als Risikofaktor zu einer Vermittlung zwischen Depressivität und kindlichen Verhaltensauffälligkeiten beizutragen (Downey & Coyne, 1990; Kuckertz, Mitchell & Wiggins, 2019; Monti & Rudolph, 2017; Provenzi, Brambilla, Borgatti & Montirosso, 2018; Takács, Smlik &Putnam, 2019). Die beschriebenen Einflüsse mütterlicher depressiver Symptome auf das Erleben und Verhalten der Kinder sind jedoch nicht determinierend für den weiteren Verlauf (Barker & Maughan, 2009; Moffitt, 2015). Individuelle Unterschiede in Ausmaß und Verlauf der Auffälligkeiten infolge mütterlicher Belastung weisen auf Risiko-/Schutzfaktoren hin, die einen negativen Effekt moderieren, d. h., abschwächen können (Barker, Jaffee, Uher & Maughan, 2011; Barker & Maughan, 2009; Barker, Oliver & Maughan, 2010; Jensen, Dumontheil & Barker, 2014; O‘Donnell, Glover, Barker & O‘Connor, 2014; Sterba, Printein & Cox, 2007). Scheithauer und Petermann (1999) geben einen Überblick zur Wirkweise von Risiko- und Schutzfaktoren. Beispielsweise wurden bei Kindern, die sich trotz vorhandener Belastung günstig entwickelten, d. h. sich resilient zeigten, der Intelligenzquotient (IQ) als schützende Variable beschrieben (Werner, 1993), während Einflüsse wie maladaptives Erziehungsverhalten (Leve, Kim & Pears, 2005) und niedriger sozioökonomischer Status (SÖS; Foulon et al., 2015) als Risikofaktoren identifiziert wurden. Das bedeutet, dass diese Faktoren eine ungünstige Entwicklung wahrscheinlicher machen.

Ziele und Fragestellungen

Die vorliegende Arbeit soll den aktuellen Forschungsstand durch eine prospektive Betrachtung depressiver Symptome der Mutter im Zusammenhang von Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten beim Kind ergänzen. Vermutet wird, dass ein negativer Einfluss mütterlicher Depressivität besteht, welcher entweder direkt wirkt (mütterliche Depressivität ist direkt mit kindlichen Erlebens-/Verhaltensauffälligkeiten assoziiert) oder durch Risiko-/Schutzfaktoren moderiert wird. Aus der Theorie abgeleitet sollen hierbei drei möglicherweise relevante Risiko-/Schutzfaktoren betrachtet werden: der kindliche IQ, der familiäre SÖS sowie das Erziehungsverhalten der Mutter. Die Arbeit beantwortet folgende zwei Kernfragen: 1. Welche direkten Zusammenhänge existieren zwischen prä-/postnataler Depressivität und kindlichem Erleben und Verhalten; 2. Existieren Risiko-Konstellationen, bei denen Effekte prä-/postnataler Depressivität zu sehen sind, welche bei Betrachtung des direkten Zusammenhangs nicht ersichtlich wurden (Moderatormodelle).

Methode

Studiendesign und Stichprobe

Die Studie folgt einem prospektiven Design: Pränatale depressive Symptome wurden während der Schwangerschaft erhoben. Die Erhebung mütterlicher Depressivität zu drei weiteren Zeitpunkten (6 Monate postnatal, Grundschulalter, Jugendalter) ermöglicht die entwicklungszeitpunktabhängige Untersuchung des Einflusses mütterlicher Depressivität. So können sowohl das Ausmaß kindlicher Auffälligkeiten als auch relevante Risiko-/Schutzfaktoren analysiert werden. Die Daten dieser Studie stammen aus der prospektiven Längsschnittstudie Franconian Maternal Health Evaluation Studies (FRAMES; Goecke et al., 2014; Reulbach et al., 2009) und den Folgestudien Franconian Cognition and Emotion Studies (FRANCES) I und II (Eichler et al., 2016; Eichler et al., 2018; Eichler et al., 2017). Die vier Messzeitpunkte waren: T1: drittes Trimenon der Schwangerschaft; T2: 6 Monate postpartal; T3: Grundschulalter; T4: Jugendalter. Im Rahmen der FRAMES-Studie wurden Schwangere zwischen 2005 und 2007 in der Ambulanz der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen rekrutiert. Einschlusskriterien waren ausreichende Deutschkenntnisse, Volljährigkeit, eine intakte Schwangerschaft und ein Gestationsalter ≥ 30. Schwangerschaftswoche. N = 1100 Schwangere im dritten Trimenon (T1) wurden eingeschlossen und die Daten mittels Fragebogenverfahren und Interview erhoben. Sechs Monate postpartal (T2) wurden n = 895 (81.36 %) der Frauen in einem Telefoninterview erneut befragt. Von 2012 bis 2015 wurde eine Teilstichprobe der in FRAMES rekrutierten Frauen mit ihren Kindern im Grundschulalter für das Folgeprojekt FRANCES I rekrutiert. Aus Kapazitätsgründen war eine Vollerhebung der damaligen Stichprobe nicht möglich, weshalb aus dieser eine zufällige Teilstichprobe (n = 501) gezogen wurde. Da in dieser Stichprobe eine Unterrepräsentierung der Risikogruppen (pränataler Alkoholkonsum/pränatale Depressivität) vorlag, wurden n = 117 Personen im Zuge einer Risikonachrekrutierung (Oversampling) kontaktiert. Von diesen insgesamt 618 Personen nahmen n = 245 Mütter und ihre Kinder (39.64 %) an der FRANCES-I-Erhebung in der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikum Erlangen teil. Die 245 teilnehmenden Frauen unterschieden sich von den 373 nichtteilnehmenden zum Zeitpunkt der Geburt (FRAMES) weder in Bezug auf Familienstand (verheiratet ja/nein: χ2[1] = 0.16, p = .690), Schulabschluss (Abitur ja/nein: χ2[1] = 0.08, p = .774) noch Familieneinkommen (< 2000, 2000–4000, > 4000 Euro: χ2[2] = 0.97, p = .616). Das Alter der Kinder zur FRANCES-I-Erhebungswelle (2012–2015, T3) betrug M = 7.74 Jahre (SD = 0.74, Range: 6.00–10.00). Im Rahmen von zwei Datenerhebungsterminen vor Ort wurden unter anderem standardisierte Fragebogenverfahren (z. B. zu Depressivität, Erziehungsverhalten, Erleben und Verhalten Kind) von der Mutter beantwortet und ein strukturiertes Interview (z. B. zu sozioökonomischen Angaben) mit ihr geführt. Das Kind nahm unter anderem an einem Intelligenz- und Entwicklungstest teil. Für die Folgeerhebung im Jugendalter (M = 13.31 Jahre, SD = 0.34, Range: 12.80–14.50; T4, 2019–2020) wurden alle FRANCES-I-Teilnehmenden erneut eingeladen. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Datenauswertungen lagen die erhobenen Daten von n = 135 Müttern mit ihren jugendlichen Kindern (55.10 %) vor. Die Erhebungen gliederten sich erneut in zwei Datenerhebungstermine mit den Mutter-Kind-Dyaden, in denen die Mutter unter anderem erneut im Interview befragt wurde sowie die gleichen standardisierten Fragebögen ausfüllte wie zu T3. Ausschlusskriterien für die vorliegenden Auswertungen waren (a) unvollständige Daten für mütterliche Depressivität (T1–T4), (b) unvollständige Daten zu kindlichem Erleben und Verhalten (T3–T4). Dies betraf n = 23 Familien, womit die endgültige Stichprobe n = 112 Eltern-Kind-Dyaden entspricht. Die 112 Mütter unterschieden sich nicht signifikant hinsichtlich pränataler (t[238] = 1.38, p = .169) und postnataler Depressivität (t[212] = 0.42, p = .674) sowie der Depressivität im Grundschulalter (t[234] = .46, p = .646) von den n = 133 (noch) nicht bei T4 untersuchten Müttern. FRAMES, FRANCES I und II wurden von der lokalen Ethikkommission des Universitätsklinikums Erlangen (Nr. 3374 & Nr. 4596 & Nr. 353_18B) genehmigt. Sie wurden im Einklang mit der Deklaration von Helsinki durchgeführt und eine schriftliche Zustimmung aller Eltern (informed consent) war gegeben. Von allen Kindern wurde die mündliche Zustimmung zur Teilnahme an der Studie eingeholt.

Erhebungsmethoden

Mütterliche Depressivität

Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS). Die EPDS ist ein standardisiertes Messinstrument zur Erhebung postnataler Depression im Selbstrating, welches 1996 auch für pränatale Depression validiert wurde (Cox, Chapman, Murray & Jones, 1996). Die Befragten wurden zur Selbsteinschätzung ihrer depressiven Symptome (zehn Items, vierstufige Ratingskala) aufgefordert. Die Antwortmöglichkeiten unterschieden sich je Item; codiert wurde die Bewertung von 0 = niedrigste depressive Symptomatik bis 3 = höchste depressive Symptomatik. Zur Auswertung wurde ein Summenwert gebildet (0–30 Punkte). Die Psychometrie der EPDS kann als sehr gut bewertet werden (Bergant, Nguyen, Heim, Ulmer & Dapunt, 1998; McBride, Wiens, McDonald, Cox & Chan, 2014). Die Mutter füllte den Fragebogen zu den Messzeitpunkten T1 bis T4 aus.

Kindliche Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten

Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ). Das kindliche Erleben und Verhalten wurde im Mutterrating anhand des SDQ erfasst (R. Goodman, 1997). Hierbei wurden 25 Items über eine dreistufige Likert-Skala (0 = nicht zutreffend bis 2 = eindeutig zutreffend) eingestuft. Für fünf Skalen („Emotionale Probleme“, „Verhaltensprobleme“, „Hyperaktivität“, „Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen“ und „Prosoziales Verhalten“) wurden Summenwerte gebildet. Ein Gesamtmaß (0–40 Punkte, höherer Wert impliziert ein höheres Ausmaß) emotionaler und Verhaltensauffälligkeiten wurde durch Aufsummieren aller Skalen (ohne „Prosoziales Verhalten“) gebildet. Die psychometrischen Eigenschaften der deutschen Version des SDQ sind als akzeptabel bis gut zu bewerten (Essau et al., 2012). In der vorliegenden Studie wurden die Skalen „Emotionale Probleme“ und „Verhaltensprobleme“ sowie der „Gesamtscore“ ausgewertet. Die Mutter füllte den Fragebogen zu den Messzeitpunkten T3 und T4 aus.

Mütterliches Erziehungsverhalten

Alabama Parenting Questionnaire (APQ). Mithilfe der erweiterten deutschen Version des APQ (Frick, 1991; Reichle & Franiek, 2009) schätzte die Mutter ihr eigenes Erziehungsverhalten ein. Hierfür wurden 72 Items (fünfstufige Likert-Skala; 1 = fast nie bis 5 = fast immer) beantwortet, welche die Erziehungsdimensionen des Instruments bildeten: „Inkonsistentes Elternverhalten“, „Involviertheit“, „Positives Elternverhalten“, „Machtvolle Durchsetzung“, „Verantwortungsbewusstes Elternverhalten“, „Geringes Monitoring“ und „Körperliches Strafen“. Zur Auswertung wurde der Mittelwert der jeweiligen Erziehungsdimension berechnet. Die psychometrischen Eigenschaften sind als gut zu bewerten, wobei die Skalen „Involviertheit“ und „Inkonsistentes Elternverhalten“ die höchsten Reliabilitätswerte erreichten (Frick, 1991; Reichle & Franiek, 2009). Da diese Skalen zusätzlich zwei Skalencluster repräsentieren, welche entweder das Risiko für Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen erhöhen („Inkonsistentes Elternverhalten“) oder verringern („Involviertheit“), wurde der Fokus für die weitere Analyse auf diese beiden gelegt und diese hierfür einzeln als Einflussvariablen miteinbezogen. Die Mutter füllte den Fragebogen zu T3 aus.

Intelligenzquotient des Kindes

Intelligence and Development Scales (IDS). Der IQ wurde mittels der IDS erfasst (Grob, Hagmann-von Arx & Meyer, 2009). Hierbei handelt es sich um einen standardisierten Intelligenztest für Kinder (5–10 Jahre), welcher aus sieben sprachunabhängigen Untertests zur kognitiven und allgemeinen Entwicklung besteht. In die Analyse der vorliegenden Arbeit ging der IQ-Standardwert (theoretischer M = 100, SD = 15) ein. Der IQ-Test wurde zu T3 mit dem Kind durchgeführt.

Geburtsparameter

Das Geburtsgewicht des Kindes (Gramm), das Gestationsalter (Zeitraum ab letzter Regelblutung der Mutter bis zur Entbindung in Wochen) sowie der durchschnittliche APGAR-Score (Mittelwert aus zehnstufigem Rating 1, 5 und 10 Minuten postnatal; Apgar, 1966) wurden im Kreißsaal erfasst.

Soziodemografische Daten und Familienmerkmale

Der SÖS (3–14 Punkte) der Familien wurde erhoben (T3) und ergab sich aus einem Summenwert von Schulbildung beider Elternteile (mehr absolvierte Schuljahre entsprachen höheren Werten) sowie dem monatlichen Netto-Familieneinkommen.

Datenanalyse

Statistische Analysen wurden mit der Programmiersprache R (Version 4.10, 2021-05-18; R Core Team, 2021) durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde auf p = .050 festgelegt, die Signifikanzprüfung erfolgte zweiseitig.

Direkter Zusammenhang mütterlicher Depressivität mit kindlichen Auffälligkeiten

Der Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und dem kindlichen Erleben und Verhalten wurde mittels multipler Regression zwischen Depressivitätswerten (T1–T4, UV) und SDQ-Scores (T3–T4, AV) modelliert. Hierbei wurden für jeden Messzeitpunkt die SDQ-Gesamtwerte sowie die Subskalen-Scores in eigenen Modellen als Outcomes betrachtet, woraus sich sechs Regressionsmodelle ergaben (drei Outcomes für jeden der zwei Messzeitpunkte). Für jedes Modell wurden die folgenden Kovariaten miteinbezogen: Geburtsparameter (Geburtsgewicht, Gestationsalter, APGAR-Score), der kindliche IQ, der SÖS sowie Parameter des mütterlichen Erziehungsverhaltens (APQ-Subskalen „Involviertheit“ und „Inkonsistenz“). Für T3 wurden die mütterlichen pränatalen und postnatalen Depressivitätswerte sowie die Depressivität zu T3 als Prädiktoren integriert, für T4 wurde zusätzlich der Depressivitätswert zu T4 hinzugefügt.

Zur Definition von Risiko- und Schutzfaktoren

Trat bei der vorherigen Regressionsanalyse ein maladaptiver Effekt auf (bspw. ein positiver Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und dem SDQ-Gesamtwert), welcher abgeschwächt wurde, wenn ein weiterer moderierender und potenziell bedeutsamer Faktor in das Gesamtmodell integriert wurde, handelte es sich bei dieser Variable um einen Schutzfaktor. Existierte äquivalent zum vorher verwendeten Beispiel kein Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und dem SDQ-Gesamtwert, war dieser Effekt nach Integration eines weiteren moderierenden Faktors jedoch vorhanden, handelte es sich bei dieser Variable um einen Risikofaktor.

Analyse potenzieller Risiko- und Schutzfaktoren

Aus der Theorie abgeleitete Risiko-/Schutzfaktoren waren der kindliche IQ, der SÖS sowie das mütterliche Erziehungsverhalten zu T3. Diese wurden den oben aufgestellten Regressionsmodellen jeweils in eigenen Regressionsmodellen als Moderatoren hinzugefügt, wobei die folgenden Interaktionen betrachtet wurden: T3: IQ x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3), SÖS x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3), APQInvolviertheit x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3), APQInkonsistenz x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3); T4: IQ x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3 + EPDST4), SÖS x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3 + EPDST4), APQInvolviertheit x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3 + EPDST4), APQInkonsistenz x (EPDSprä + EPDSpost + EPDST3 + EPDST4). Bei signifikanten Interaktionen wurde der bedingte Effekt anschließend grafisch und analytisch mittels der Johnson-Neyman-Technik ausgewertet (Johnson & Fay, 1950).

Umgang mit multiplem Testen

Um dem Problem der Alphafehler-Kumulierung entgegenzuwirken, wurden die p-Werte der Regressionsmodelle (F-Statistik) nach Outcome und Zeitpunkt gruppiert und nach Holm (1979) adjustiert. Modelle, welche nach dieser Adjustierung weiterhin signifikant waren, wurden einer weiteren Analyse unterzogen.

Ergebnisse

Demografische Merkmale und deskriptive Werte zur mütterlichen Depressivität, kindlichem Erleben und Verhalten sowie den einbezogenen Risiko-/Schutzfaktoren können Tabelle 1 entnommen werden. Die mütterliche Depressivität fiel in der Gesamtstichprobe zu den verschiedenen Messzeitpunkten unterschiedlich aus (Tabelle 1). Post-hoc-t-Tests zeigten, dass die untersuchten Mütter pränatal und im Grundschulalter der Kinder signifikant höhere Depressivitätswerte aufwiesen. Sowohl 6 Monate postnatal (Unterschied pränatal–postnatal: t[111] = 3.73, p < .001, d = 0.35) als auch im Jugendalter der Kinder (Unterschied Grundschulalter–Jugendalter: t[111] = 2.72, p = .008, d = 0.26) wiesen sie niedrigere Werte auf. Die Einschätzungen der Mütter hinsichtlich der kindlichen Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten unterschieden sich im Grundschul- versus Jugendalter statistisch nicht bedeutsam (t[111] = .99, p = .324, d = 0.09).

Tabelle 1 Deskriptive Stichprobenmerkmale

Zusammenhänge mütterlicher Depressivität mit kindlichem Erleben und Verhalten

Nach Korrektur für multiples Testen verblieben die Modelle für den SDQ-Gesamtwert zu T3 (F[10,93] = 2.50, padj = .043) und T4 (F[12,91] = 4.53, padj < .001) sowie der Wert der Skala „Emotionale Probleme“ zu T4 (F[12,91] = 3.27, padj = .003) signifikant. Der SDQ-Gesamtwert zu T3 zeigte einen Zusammenhang mit dem SÖS (t[93] = -2.22, p = .029) sowie der APQ-Subskala „Inkonsistenz“ (t[93] = 2.97, p = .004), wobei das Modell R2adj = 12.67 % der Varianz erklärte. Der SDQ-Gesamtwert zu T4 hing mit der Depressivität der Mutter (Gesamtwert EPDS; t[91] = 2.05, p = .043) zum selben Zeitpunkt sowie mit den Auffälligkeiten der Kinder im Grundschulalter zusammen (t[91] = 5.38, p < .001), die Varianzaufklärung betrug R2adj = 29.14 %. Der Wert der SDQ-Subskala „Emotionale Probleme“ war schlussendlich mit vier Variablen assoziiert: der Depressivität der Mutter zu T4 (Jugendalter; t[91] = 2.55, p = .013), dem Gesamtwert der kindlichen Auffälligkeiten zu T3 (Grundschulalter; t[91] = 2.38, p = .019), dem SÖS (t[91] = 2.77, p = .007) sowie der Involviertheit der Mutter zu T3 (t[91] = 3.25, p = .002). Das Modell erklärte hierbei 20.92 % der Varianz der emotionalen Auffälligkeiten im Jugendalter. Eine grafische Übersicht der Modelle sowie ihrer standardisierten Prädiktoren kann Abbildung 1 entnommen werden.

Abbildung 1 Übersicht über die drei analysierten Regressionsmodelle und ihre standardisierten Regressionskoeffizienten. Gezeigt sind von links nach rechts: a) das Modell für den SDQ-Gesamtwert zu FRANCES I, b) das Modell für den SDQ-Gesamtwert zu FRANCES II und c) das Modell für die SDQ-Subskala „Emotionale Probleme“ zu FRANCES II. Die Form der Datenpunkte sowie die eingezeichneten Signifikanzmarkierungen beschreiben dabei, unter welchem Signifikanzniveau die jeweiligen Prädiktoren signifikant wurden (siehe Legende). Hierbei gilt: n. s.: p > .050, * p < .050, ** p < .010, *** p < .001. Mütterliche Depressivität: EPDS = Edinburgh Postnatal Depression Scale. Auffälligkeiten Erleben und Verhalten: SDQ = Strengths and Difficulties Questionnaire; SÖS = Sozioökonomischer Status; IQ = Intelligenzquotient.

Effekte mütterlicher Depressivität auf kindliches Erleben und Verhalten unter Einfluss von Risiko- und Schutzfaktoren

Zur Analyse von Schutzfaktoren

Da in der vorherigen Analyse keine direkten Zusammenhänge zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichem Verhalten zu irgendeinem Zeitpunkt gefunden wurden, entfällt die weitere Analyse potenzieller Schutzfaktoren nach der oben genannten Definition. Im Weiteren werden die theoretisch abgeleiteten Faktoren (IQ, SÖS, Erziehungsverhalten) lediglich in ihrer Rolle als potenzielle Risikofaktoren betrachtet.

Der SÖS moderierte den Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichem Erleben und Verhalten

Für den SÖS wurden sowohl das Modell für alle Auffälligkeiten im Grundschulalter (T3; F([3,90] = 2.68, padj. = .019) als auch das Modell für emotionale Auffälligkeiten im Jugendalter (T4; F[15,88] = 2.30, padj. = .042) signifikant. Für das Modell der Subskala „Emotionale Probleme“ zeigte sich bei weiterer Analyse jedoch keiner der Prädiktoren als signifikant, weswegen im Folgenden nur auf die Gesamtauffälligkeiten im Grundschulalter eingegangen wird. Hier zeigte sich bei Untersuchung der Prädiktoren, dass eine Interaktion zwischen sowohl pränataler (t[90] = –2.07, p = .041) als auch postnataler Depressivität (t[90] = 2.10, p = .039) und dem SÖS bestand. Eine folgende Auswertung mittels Johnson-Neyman-Technik zeigte einen (nicht signifikanten) bedingten Effekt der pränatalen Depressivität auf den SDQ-Gesamtwert insofern, dass der Einfluss pränataler Depressivität mit steigendem SÖS absank. Im Kontext postpartaler Depressivität zeigte sich ein positiver bedingter Effekt, der den Einfluss der Depressivität mit steigendem SÖS erhöhte. Eine signifikante Schwelle überschritt dieser Effekt ab einem SÖS > 11.74 Punkten, während der Einfluss der EPDS-Werte auf den SDQ-Gesamtwert unterhalb dieser Schwelle niedriger und teilweise negativ war. Eine Übersicht über die Moderationsanalyse kann Abbildung 2 entnommen werden.

Abbildung 2 Zusammenfassung der Moderationsanalyse des SÖS. Gezeigt sind in der linken Spalte die Effekte des SÖS auf den Zusammenhang von pränataler Depressivität der Mutter auf den SDQ-Gesamtwert im Grundschulalter, in der rechten Spalte die moderierende Wirkung des SÖS auf den Zusammenhang zwischen postpartaler Depressivität auf den SDQ-Gesamtwert zum selben Zeitpunkt. Zu sehen sind sowohl zwei Plots, die die Wirkung des SÖS bei M ±1 SD zeigen (erste Zeile) als auch Johnson-Neyman Plots (Johnson & Fay, 1950) zur Darstellung des bedingten Effekts (zweite Zeile). Signifikante Regionen sind dabei rot hinterlegt (p < .050) und existieren postpartal bei SÖS > 11.74 Punkten. Mütterliche Depressivität: EPDS = Edinburgh Postnatal Depression Scale; Auffälligkeiten Erleben und Verhalten: SDQ = Strengths and Difficulties Questionnaire; SÖS = Sozioökonomischer Status; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung.

Der kindliche IQ moderierte den Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichem Erleben im Jugendalter

Nach Adjustierung der Moderatormodelle verblieb das Modell für die SDQ-Subskala „Emotionale Probleme“ im Jugendalter (T4) signifikant (F[15,88] = 2.51, padj = .004). Hierbei zeigte sich eine Interaktion zwischen dem kindlichen IQ und der mütterlichen Depressivität im Jugendalter (t[88] = 2.12, p = .037), wobei keine Interaktion für die anderen Zeitpunkte und Depressivitätswerte auftrat. Eine Betrachtung des bedingten Effekts via Johnson-Neyman-Technik konnte einen Moderatoreffekt aufzeigen, welcher ab IQ > 102.91 Punkten auftrat. Bei diesen Kindern hatte die mütterliche Depressivität zu T4 einen höheren und positiven Effekt auf emotionale Auffälligkeiten im Jugendalter (d. h. mehr emotionale Probleme bei höheren Depressivitätswerten), während dieser Effekt bei Kindern mit einem IQ < 102.91 Punkten kleiner war und teilweise negativ wurde. Eine grafische Übersicht kann Abbildung 3 entnommen werden.

Abbildung 3 Zusammenfassung der Moderationsanalyse des IQ. Zu sehen sind auf der linken Seite die Auswirkungen des IQ bei M ±1 SD, auf der rechten Seite der Johnson-Neyman-Plot (Johnson & Fay, 1950) zur Darstellung des bedingten Effekts. Signifikante Regionen sind dabei rot hinterlegt (p < .050) und existieren bei IQ > 102.91 Punkten. Mütterliche Depressivität: EPDS = Edinburgh Postnatal Depression Scale; Auffälligkeiten Erleben und Verhalten: SDQ = Strengths and Difficulties Questionnaire; IQ = Intelligenzquotient; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung.

Das Erziehungsverhalten zeigte keine Rolle als Risikofaktor

Keines der aufgestellten Moderationsmodelle wurde nach Korrektur der entsprechenden p-Werte signifikant, womit eine Analyse des Erziehungsverhaltens als Risikofaktor entfiel.

Diskussion

Unter Betrachtung der direkten Zusammenhänge zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichen Erlebens-/Verhaltensauffälligkeiten waren die kindlichen Auffälligkeiten im Grundschulalter mit keinem der mütterlichen Depressivitätswerte assoziiert. Zu diesem Zeitpunkt bestand vorwiegend ein Effekt auf Erlebens-/Verhaltensauffälligkeiten durch inkonsistentes Erziehungsverhalten der Mutter (positiver Zusammenhang) sowie den SÖS der Familie (negativer Zusammenhang). Im Jugendalter hingegen war ein deutlicher Einfluss mütterlicher Depressivitätswerte zum selben Zeitpunkt vorhanden (höhere Depressivitätswerte waren hier mit höheren Auffälligkeiten assoziiert). Auffällig war weiterhin ein starker Einfluss kindlicher Erlebens-/Verhaltensauffälligkeiten im Grundschulalter auf die Ausprägung derselben Auffälligkeiten im Jugendalter (AV = SDQ-Gesamtwert T4: βEPDS T4 = .19 vs. βSDQ T3 = .50), was für eine gewisse Stabilität von im Grundschulalter manifestierten Auffälligkeiten spricht. Hierbei scheint auch die Ausprägungsebene der Auffälligkeiten entscheidend zu sein, da sich diese Diskrepanz bei dem Modell für emotionale Auffälligkeiten im Jugendalter nicht so deutlich manifestierte. Relevante Risikofaktoren waren der SÖS der Familie sowie der IQ der Kinder im Grundschulalter; das Erziehungsverhalten der Mutter im Grundschulalter nahm keine moderierende Rolle ein. Der SÖS beeinflusste den Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und kindlichen Auffälligkeiten zeitpunktspezifisch: Im Kontext pränataler Depressivität zeigte sich ein abgemilderter Zusammenhang zwischen depressiver Symptomatik und kindlichem Erleben/Verhalten bei Familien mit hohem SÖS. Bei Betrachtung postpartaler Depressivität verhielt es sich hingegen andersherum. Hier zeigte sich ein Zusammenhang zwischen mütterlicher Depressivität und auffälligem kindlichem Verhalten der stärker wurde, je höher der SÖS ausfiel (signifikant bei SÖS > 11.74 Punkten). Weiterhin erschien der IQ als Risikofaktor im Kontext emotionaler Auffälligkeiten: Mütterliche Depressivität im Jugendalter hatte mit steigendem IQ des Kindes einen stärkeren positiven Einfluss auf emotionale Auffälligkeiten zum selben Zeitpunkt.

Die moderierende Eigenschaft des SÖS ergänzt bisherige Forschungsergebnisse (Foulon et al., 2015; Meaney, 2018; Pearson et al., 2013). Frühere Ergebnisse, welche einen geringeren Bildungs-/Berufsstand der Eltern und ein niedrigeres Familieneinkommen als Risikofaktoren für Erlebens-/Verhaltensauffälligkeiten der Kinder darlegten (Bradley, Corwyn, Burchinal, McAdoo & García Coll, 2001; Zimmerman & Katon, 2005), scheinen kein umfassendes Bild zu zeichnen. Vielmehr deutet sich in den hier dargestellten Ergebnissen an, dass pränatale und postpartale Depressivität trotz ihrer relativ hohen Korrelation in den Daten (r = .50) unterschiedliche Facetten mütterlicher Belastung darstellen – wie bereits in früheren Analysen der FRAMES-Kohorte diskutiert wurde (Reulbach et al., 2009). Der schützende Einfluss des SÖS im pränatalen Kontext könnte auf einen Einfluss pränataler Umweltfaktoren im Sinne der oben beschriebenen DOHaD-Hypothese hindeuten: Weniger Ressourcen führen zu einem potenziell negativen Entwicklungsumfeld, welches über biologische und physiologische Mechanismen (bspw. durch eine Alterierung der Stressantwort) eine stärkere Ausprägung von Auffälligkeiten der Kinder begünstigt. Im Kontext postpartaler Belastungen der Mutter, bei der der SÖS eher die Rolle eines Risikofaktors annimmt, müsste weitergehend untersucht werden, ob depressive Belastungen gerade bei Frauen mit hohem Status zu einer veränderteren und potenziell maladaptiven Mutter-Kind-Interaktion führen könnten. Wichtig ist jedoch, hier erneut zu verdeutlichen, dass diese Veränderungen und die Rolle des SÖS nur im Kontext bereits vorhandener Belastungen erfolgen. Aus den vorliegenden Daten kann nicht abgeleitet werden, dass Kinder von Frauen mit einem höheren oder niedrigeren SÖS automatisch mehr Belastungen ausgesetzt sind. Sollte jedoch eine pränatale/postpartale depressive Symptomatik vorliegen, könnte der SÖS eine maßgebliche Rolle beim Wirkungspfad depressive Symptomatik–kindliche Auffälligkeiten spielen.

Unumstritten – und in Einklang mit anderen Studien (Eichler et al., 2017; Field, 2010; Gentile, 2017; Luoma et al., 2001; Szekely et al., 2020) – ist, dass sich pränatale Depressivität sowie depressive Symptome im Laufe der Kindheit auf die Entwicklung des Kindes und der Jugendlichen auswirken. Welche Rolle die Kumulation weiterer eltern- und kindbezogener Risikofaktoren für die Entstehung von Auffälligkeiten spielen und welche Ansatzpunkte damit für die Prävention und Intervention von Bedeutung sind, konnte durch unsere Ergebnisse ergänzt werden.

Limitationen der Studie

Die Kinder der untersuchten Stichprobe zeigten durchschnittlich weniger Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten als Kinder, die eine erneute Teilnahme ablehnten (siehe Ausschlusskriterien), was die Generalisierbarkeit der Befunde einschränkt. Weiterhin handelte es sich um eine Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung, wodurch die klinische Relevanz eingeschränkt ist. Aufgrund der Erfassung kindlicher Auffälligkeiten als Fremdbewertung durch die Mutter (SDQ) sind diese nicht unabhängig von Depressivität zu sehen, was bereits in anderen Studien als problematisch berichtet wurde (Kroes, Veerman & De Bruyn, 2003). Dies betrifft ebenfalls die Bewertung der mütterlichen Depressivität und des Erziehungsverhaltens mittels Selbsturteil. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten dieser Limitation durch den Einbezug verschiedener Quellen in Multi-Informant-Ansätzen begegnen, was beispielsweise durch andere objektivere Maße (z. B. klinische Diagnosen, Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion) umgesetzt werden könnte. Die geprüften Moderationsmodelle stellen nur mögliche Wirkpfade dar und wurden in der vorliegenden Arbeit theoriegeleitet aufgestellt. Weitere Wirkpfade sind denkbar und in zukünftigen Arbeiten zu prüfen.

Ausblick

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit beinhalten eine gute Nachricht: Depressive Belastungen der Mutter um die Geburt herum sind nicht determinierend für maladaptive kindliche Entwicklung. Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel mütterlicher Depressivität mit spezifischen und vermittelnden Risiko- und Schutzfaktoren. Bereits subklinische Symptome von Depressivität haben – zwar nicht direkt, aber vermittelt über weitere Risikofaktoren – entwicklungsrelevante Folgen für Erleben und Verhalten des Kindes. Ansatzpunkte für die Prävention und Intervention in Familien mit einer von depressiven Symptomen betroffenen Mutter sollten vor allem während der Schwangerschaft Frauen mit einem niedrigen SÖS in den Blick nehmen. Postpartal hingegen sollten zusätzlich Frauen, die eine depressive Symptomatik berichten und einen höheren SÖS haben, in den Fokus von Interventionsprogrammen genommen werden.

Literatur