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Open AccessOriginalarbeit

Bindungsstile, Computerspielen und die vermittelnde Rolle der Emotionsdysregulation

Eine Replikationsstudie

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000852

Abstract

Zusammenfassung:Zielsetzung: In der deutschen Gesellschaft gewinnen Computerspiele zunehmend an Bedeutung. Ziel dieser Arbeit ist es, eine kanadische Studie (Tang et al., 2022) zur vermittelnden Wirkung der Emotionsdysregulation auf den Zusammenhang zwischen unsicheren Bindungsstilen (ängstlich und vermeidend) und den Symptomen einer Computerspielstörung in Deutschland zu replizieren. Methode: Für die Untersuchung beantworteten 280 computerspielende Studierende im Alter von 18–41 Jahren Online-Fragebögen zur Ausprägung einer Computerspielstörung, zu unsicheren Bindungsstilen, zur Emotionsdysregulation und zur Computerspielmotivation. Die statistische Auswertung erfolgte mit RStudio. Die Mediatoranalysen wurden mithilfe des PROCESS Makros (Modell 4; Hayes, 2017) durchgeführt. Ergebnisse: Die Ergebnisse der Originalstudie konnten repliziert werden. Unsichere Bindungsstile zeigten einen signifikanten Zusammenhang mit der Ausprägung einer Computerspielstörung und einer erhöhten Emotionsdysregulation. Die Emotionsdysregulation vermittelte den positiven Zusammenhang zwischen vermeidender Bindung und der Ausprägung einer Computerspielstörung vollständig und den positiven Zusammenhang zwischen ängstlicher Bindung und der Ausprägung einer Computerspielstörung teilweise. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse legen nahe, dass die Emotionsdysregulation im klinischen Kontext eine größere Beachtung finden sollte.

Attachment Styles, Computer Gaming and the Mediating Role of Emotion Dysregulation: A Replication Study

Abstract:Aims: Computer games are playing an increasingly important role in German society. The aim of this study was to replicate a Canadian study (Tang et al., 2022) on the mediating effect of emotion dysregulation on the connection between insecure attachment styles (anxious and avoidant) and symptoms of computer game disorders in Germany. Method: 280 students between the ages of 18 and 41, who are playing computer games, answered online questionnaires on the severity of a computer game disorder, on insecure attachment styles, on emotion dysregulation and on computer game motivation. Statistical analyses were performed using RStudio. For mediation analyses, PROCESS macro (model 4; Hayes, 2017) was used. Results: Results of the original study could be replicated. Insecure attachment styles showed a significant association with the severity of a computer game disorder and contributed to increased emotion dysregulation. Emotion dysregulation fully mediated the association between avoidant attachment styles and symptoms of Computer Gaming Disorder. A partial mediation was found for anxious attachment styles. Conclusions: The results indicate that emotion dysregulation needs more attention in clinical contexts.

Einleitung

Computerspiele haben in Deutschland einen immer größeren Stellenwert erreicht und zählen zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten der Bevölkerung (Reinhardt, 2020). Während im Jahr 2019 noch etwa die Hälfte der Deutschen gelegentlich Computerspiele spielte, stieg diese Zahl durch die Coronakrise kontinuierlich an. Im Jahr 2021 spielten bereits rund 59 % der Deutschen gelegentlich oder regelmäßig Computerspiele (game – Verband der deutschen Games-Branche e. V., 2020, 2022). Dieser Trend ist nicht nur in Deutschland zu beobachten, sondern auch in den Vereinigten Staaten, wo sowohl die Spielerzahlen als auch die gesamte Branche wachsen. Die Vereinigten Staaten haben einen Spieleranteil von etwa 65 %, womit sie Deutschland noch übertreffen (Entertainment Software Association, 2022). Seit 2019 hat sich auch die Anzahl der aktiven Spielerinnen und Spieler signifikant erhöht, insbesondere in der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren, von 75 % im Jahr 2020 auf 88 % im Jahr 2022 (bitkom, 2020, 2022).

Mit Einführung der ICD-11 wird die Computerspielstörung als Diagnose in der neuen Kategorie „Störungen durch süchtiges Verhalten“ aufgenommen (World Health Organization, 2019; Saunders et al., 2017). Bei der Erforschung der Ursachen von problematischem Computerspielen liegt der Fokus vor allem auf Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Aktuell rückt die Familiensituation in Haushalten mit Computerspielstörungen als ein wichtiges Forschungsgebiet in den Vordergrund. Erste Erkenntnisse zeigen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen familiärer Dysfunktion und der Entstehung, sowie der Schwere einer Computerspielstörung besteht (Coşa, Dobran, Georgescu & Păsărelu, 2022; Gan, Xiang, Jin, Zhu & Yu, 2022). Dabei spielt die Eltern-Kind-Beziehung und die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern eine wichtige Rolle, da sie entweder zur verstärkten Entwicklung oder zur Prävention von Computerspielstörungen beitragen kann (Gan et al., 2022). Der Bindungsstil entwickelt sich bereits im Säuglingsalter und bleibt während der gesamten Lebensspanne recht stabil (Mikulincer & Shaver, 2019). Ein unsicherer Bindungsstil umfasst sowohl den ängstlichen als auch den vermeidenden Bindungsstil (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978). Ein ängstlicher Bindungsstil äußert sich unter anderem durch klammerndes Verhalten, während beim vermeidenden Bindungsstil oft das Eingehen engerer Beziehungen vermieden wird (Ainsworth et al., 1978). Studien mit Studierenden haben gezeigt, dass ein unsicherer Bindungsstil positiv mit dem Konsum von Drogen wie Zigaretten, Alkohol und Cannabis korreliert ist (Kassel, Wardle & Roberts, 2007). Außerdem scheint eine Verbindung zwischen unsicherer Bindung und Verhaltenssüchten wie „Internetsucht“ und „Social-Media-Sucht“ (Monacis, Palo, Griffiths & Sinatra, 2017), als auch Computerspielstörung zu bestehen (Estévez, Jáuregui, Sánchez-Marcos, López-González & Griffiths, 2017), wobei die Ergebnisse widersprüchlich ausfallen (Allison et al., 2006; Liese, Kim & Hodgins, 2020; Weinstein, Abu, Timor & Mama, 2016).

Neben den Bindungsstilen spielt auch die Fähigkeit zur Emotionsregulation eine relevante Rolle bei der Entwicklung einer Computerspielstörung (z. B. Hemenover & Bowman, 2018). Emotionsregulation bezieht sich auf eine Vielzahl psychologischer Prozesse, die darauf abzielen, Gefühle flexibel und angemessen in Reaktion auf Umwelt- und Beziehungsreize zu erkennen, zu differenzieren und zu modulieren. Emotionsdysregulation ist durch Schwierigkeiten gekennzeichnet, Impulse in Bezug auf negative Gefühle zu kontrollieren und gezielt zu lenken (Braunstein, Gross & Ochsner, 2017). Unterschiedliche Studien deuten darauf hin, dass Computerspiele als Mittel zur Emotionsregulation genutzt werden (Gaetan, Bréjard & Bonnet, 2016; Hemenover & Bowman, 2018; Hussain & Griffiths, 2009; Villani et al., 2018). Wenige Studien haben sich speziell mit der Rolle der Emotionsdysregulation bei problematischem Computerspielen befasst. Die Ergebnisse von Billieux et al. (2011) legen nahe, dass die Tendenz, impulsiv bei intensiven negativen Gefühlen zu handeln, bei einer Stichprobe von Spielern den größten Einfluss auf problematisches Engagement in World of Warcraft (WoW) hatte. In ähnlicher Weise zeigten Estévez et al. (2017), dass ein Mangel an emotionaler Klarheit und Kontrolle über emotionale Reaktionen eine problematische Beteiligung an Computerspielen vorhersagte. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass einige Menschen mit Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation Computerspiele als Bewältigungsmechanismus für negative Affektzustände nutzen, was das Risiko negativer Auswirkungen des Spielens erhöht (Kardefelt-Winther, 2014). Weitere Ergebnisse legen nahe, dass Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation sowohl problematisches/ pathologisches Spielen als auch eskapistische Motive vorhersagen (Blasi et al., 2019).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass vermeidende und ängstliche Bindungsstile in Bezug auf die Entwicklung einer Computerspielstörung diskutiert werden, jedoch keine eindeutigen Befunde vorliegen (Estévez et al., 2017). Die uneinheitlichen Ergebnisse werden einerseits auf kleine Stichprobengrößen oder die Untersuchung spezifischer Computerspielgenres zurückgeführt (Weinstein et al., 2016; Allison, von Wahlde, Shockley & Gabbard, 2006). Andererseits könnte die Fähigkeit zur Emotionsdysregulation einen Einfluss auf die Schwere der Symptome einer Computerspielstörung und unsichere Bindungsstile haben (Liese et al., 2020). Diese Auswirkung wurde von Tang, Hodgins und Schluter (2022) an Studierenden der University of Calgary in Kanada untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen eine vermittelnde Wirkung der Emotionsdysregulation, die als Mediatorvariable den Zusammenhang zwischen unsicheren Bindungsstilen (ängstlich und vermeidender Stil) und den Symptomen einer Computerspielstörung vermittelt. Angesichts der uneinheitlichen Befundlage und im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis ist die Replikation der Ergebnisse von Tang et al. (2022) von großer Bedeutung. Replikation wissenschaftlicher Befunde gewährleistet die Zuverlässigkeit und Validität von Forschungsergebnissen. Sie bestätigt die Robustheit von Entdeckungen, ermöglicht die Generalisierung auf verschiedene Kontexte und Populationen, identifiziert Grenzen von Theorien und trägt zur theoretischen Entwicklung bei. Replikation ist daher von essenzieller Bedeutung für die Stärkung der wissenschaftlichen Basis und den Fortschritt in der Forschung. Auch im Hinblick auf mögliche kulturelle Unterschiede stellt die Replikation im deutschen Kontext eine wichtige Aufgabe dar.

Die hier durchgeführte Replikationsstudie wurde so genau und nah wie möglich an der Originalstudie von Tang et al. (2022) gestaltet. Im ersten Mediationsmodell wurde untersucht, ob die Emotionsdysregulation eine vermittelnde Rolle bei der Beziehung zwischen dem ängstlichen Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung spielt. Basierend auf den Erkenntnissen von Tang et al. (2022) ergeben sich folgende Hypothesen:

  1. 1.
    Ein ängstlicher Bindungsstil sagt sowohl die Ausprägung einer Computerspielstörung als auch die Ausprägung der Emotionsdysregulation vorher.
  2. 2.
    Emotionsdysregulation sagt die Ausprägung einer Computerspielstörung vorher, wenn für den ängstlichen Bindungsstil kontrolliert wird.
  3. 3.
    Emotionsdysregulation mediiert den positiven Zusammenhang zwischen einem ängstlichen Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung.

Das zweite Mediationsmodell untersuchte, ob die Emotionsdysregulation eine vermittelnde Rolle bei der Beziehung zwischen vermeidendem Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung spielt. Basierend auf den ursprünglichen Hypothesen von Tang et al. (2022) ergeben sich folgende Hypothesen:

  1. 1.
    Ein vermeidender Bindungsstil sagt sowohl die Ausprägung einer Computerspielstörung als auch die Ausprägung der Emotionsdysregulation vorher.
  2. 2.
    Emotionsdysregulation sagt die Ausprägung einer Computerspielstörung voraus, wenn für den vermeidenden Bindungsstil kontrolliert wird.
  3. 3.
    Emotionsdysregulation mediiert den positiven Zusammenhang zwischen einem vermeidenden Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung.

Methodik

Stichprobe und Durchführung

Die Einschlusskriterien wurden eng an die Originalstudie von Tang et al. (2022) angelehnt. Um den rechtlichen Vorgaben in Deutschland gerecht zu werden, wurde die untere Altersgrenze von 16 Jahren, wie von Tang et al. festgelegt, auf 18 Jahre erhöht. Die Stichprobe bestand aus Personen im Alter zwischen 18 und 41 Jahren, die in den letzten sechs Monaten mindestens ein Computerspiel gespielt haben. Die Online-Fragebögen wurden mithilfe von SoSci Survey (Leiner, 2019) realisiert und den Teilnehmern auf www.soscisurvey.de zur Verfügung gestellt. Unter Berücksichtigung von Cohen (1992) und einer a priori Power-Analyse wurde eine Power von 0.81 bei einer Stichprobengröße von 280 Probanden berechnet. Daher wurde für die Replikationsstudie, analog zur Originaluntersuchung, eine Stichprobengröße von 280 Teilnehmern angestrebt. Die Befragung fand vom 14.12.2022 bis 20.01.2023 statt.

Instrumente und Auswertung

Fragebogen zur Ausprägung einer Computerspielstörung (Game Addiction Inventory for Adults [GAIA])

Mithilfe des Game Addiction Inventory for Adults (GAIA) wurde das Ausmaß einer möglichen Computerspielstörung erhoben (Wong & Hodgins, 2014). Die Items wurden dafür von uns ins Deutsche übersetzt. Der Test umfasst 31 Items, die auf einer Likert-Skala von 0 (stimme überhaupt nicht zu) bis 4 (stimme eindeutig zu) beantwortet werden. Neben einem Gesamtsuchtwert können fünf suchtspezifische Subskalen definiert werden: Kontrollverlust und Konsequenzen, unruhiger Entzug, Bewältigung, trauernder Entzug und Scham. Diese Subskalen werden durch 26 der 31 Items abgedeckt und ergeben zusammen den Gesamtsuchtwert. Der Gesamtsuchtwert gibt an, inwieweit suchtbezogene Tendenzen auf die getestete Person zutreffen. Ein Gesamtwert über 30 weist auf leichte Suchttendenzen hin, während ein Wert über 40 auf erhebliche Suchtprobleme hinweisen kann. Der Fragebogen zeigt eine sehr gute interne Konsistenz (α=0.94), eine gute konvergente Validität sowie eine konkurrierende Validität im Vergleich zur Glücksspielstörung und zur Substanzabhängigkeit. Die sechste Subskala „Engagement“ besteht aus den verbleibenden fünf Items und erfasst das grundlegende Interesse am Computerspielen. Sie kann daher nicht den anderen Subskalen zugeordnet werden, die suchtbezogene Tendenzen untersuchen.

Computerspielmotivation (Motives for Online Gaming Questionnaire [MOGQ])

Um die Beweggründe für das Spielen von Computerspielen zu erfassen, wurde der Motives for Online Gaming Questionnaire (MOGQ) verwendet (Demetrovics et al., 2011). Die Items des Fragebogens wurden dafür von uns ins Deutsche übersetzt. Der Fragebogen besteht aus 27 Items, die auf einer Likert-Skala von 1 (fast nie/nie) bis 5 (fast immer/immer) beantwortet werden. Die Items sind in sieben Dimensionen unterteilt, die verschiedene Motivationen zum Computerspielen erfassen. Diese Dimensionen umfassen soziale Motive, Wettbewerb, Flucht, Bewältigung, Fantasie, Entwicklung von Fertigkeiten und Erholungsmotive. Die interne Konsistenz aller Dimensionen reicht von akzeptabel (Erholung, α=0.79) bis exzellent (Wettbewerb und soziale Motive, α=0.9). Frühere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass der MOGQ sehr gut geeignet ist, um die Motive für das Computerspielen zu erfassen. Die durch Faktorenanalyse identifizierten Dimensionen decken dabei alle Arten von Online-Spielen ab (Demetrovics et al., 2011).

Bochumer Bindungsfragebogen (BoBi, Experience in Close Relationship [ECR])

Das Bindungsverhalten wurde von Tang et al. (2022) mit Hilfe des „Experience in Close Relationship“ (ECR) Fragebogens (Brennan, Clark & Shaver, 1998) erfasst. In dieser Untersuchung wurde die deutsche Version des ECR-Fragebogens, der Bochumer Bindungsfragebogen (BoBi) (Neumann, Rohmann & Bierhoff, 2007), verwendet. Der BoBi besteht aus 36 Items, die auf einer Likert-Skala von 1 (stimmt überhaupt nicht) bis 7 (stimmt voll und ganz) beantwortet werden. Die Einschätzung des partnerschaftlichen Bindungsverhaltens erfolgt entlang der Dimensionen Vermeidung und Angst, jeweils mit 18 Items. Die Ausprägung entlang dieser Dimensionen gibt Aufschluss darüber, wie stark Angst und Vermeidung ausgeprägt sind und ob sich eine Person in einem sicheren, verstrickten, abweisenden oder ängstlichen Bindungsstil wiederfindet (Bartholomew, 1990). Der BoBi weist eine sehr hohe interne Konsistenz für Vermeidung (α=.89) und Angst (α=.88) auf und eine niedrige Korrelation zwischen den beiden Dimensionen (r=.05). Somit eignet sich der BoBi hervorragend zur Untersuchung unsicherer Bindungsstile.

Emotionsdysregulation (Difficulties in Emotion Regulation Scale [DERS]/DERS_D)

Das Ausmaß der Emotionsdysregulation wurde von Tang et al. (2022) mit Hilfe der „Difficulties in Emotion Regulation Scale (DERS)“ (Gratz und Roemer, 2004) erfasst. Für die Replikation wurde die deutschsprachige Version des DERS von Ehring, Svaldi, Tuschen-Caffier und Berking (2013) verwendet. Der DERS_D weist eine exzellente interne Konsistenz auf, sowohl für die Gesamtscores (α=.95) als auch für die einzelnen Subskalen (zwischen α=.71 und α=.91) (Gutzweiler & In-Albon, 2018). Der DERS_D besteht aus 36 Items, die auf einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 (fast nie, 0–10 %) bis 5 (fast immer, 91–100 %) beantwortet werden. Ein höherer Score deutet auf stärkere Schwierigkeiten in der Emotionsregulation hin. Die Items sind in sechs Subskalen unterteilt: Nicht-Akzeptanz emotionaler Reaktionen, Probleme mit zielorientiertem Verhalten, Impulskontrollprobleme, Mangel an emotionaler Aufmerksamkeit, eingeschränkter Zugang zu Emotionsregulationsstrategien und Mangel an emotionaler Klarheit. Die restlichen Items werden invertiert und bilden als siebter Faktor den Methodenfaktor. Neben der exzellenten internen Konsistenz zeigt der DERS_D eine konvergente Validität mit ähnlichen Tests wie der deutschsprachigen Version des Emotion Regulation Questionnaire (ERQ; Abler & Kessler, 2009).

Statistische Analysen

Die Auswertung erfolgte mit Hilfe von RStudio (Posit Software, 2020). In Anlehnung an das methodische Vorgehen von Tang et al. (2022) testeten wir zwei hypothetische Mediationsmodelle unter Verwendung von PROCESS Modell 4 (Hayes, 2017). Dabei fungierten die beiden ECR-Subskalen (ängstliche Bindung und vermeidende Bindung) jeweils als unabhängige Variable und die Ausprägung einer Computerspielstörung, gemessen anhand des GAIA-Sucht-Gesamtscores, als abhängige Variable. Der Mediator Emotionsdysregulation wurde über die DERS_D erhoben.

Ergebnisse

Im Befragungszeitraum wurde die Online-Umfrage 428-mal aufgerufen. Insgesamt wurde die Beantwortung in 291 Fällen vollständig abgeschlossen. Die Daten wurden in einem nächsten Schritt auf Vollständigkeit und Erfüllung der Einschlusskriterien untersucht. Der geringe Anteil von 11 non-binären Einschätzungen führte zu einem Ausschluss von 11 Probanden aufgrund unzureichender Fallzahlen für eine Normalverteilungsprüfung. Final flossen schließlich 280 Datensätze in die statistischen Analysen ein. Tabelle 1 fasst die soziodemographischen Merkmale der Stichprobe zusammen. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Beliebtheit verschiedener Spielgenres in der untersuchten Stichprobe. Die Ergebnisse der Auswertung der Fragebögen werden in Tabelle 3, 4, 5 und 6 zusammengefasst.

Tabelle 1 Soziodemographische Daten und Computerspielzeiten der Stichprobe (N=280)
Tabelle 2 Beliebtheit der Spielegenres
Tabelle 3 Emotionsdysregulation (deutsche Fassung der Difficulties in Emotion Regulation Scale [DERS_D])
Tabelle 4 Fragebögen zur Ausprägung einer Computerspielstörung (deutsche Fassung des Game Addiction Inventory for Adults [GAIA])
Tabelle 5 Computerspielmotivation (deutsche Fassung des Motivation for Online Gaming Questionnaire [MOGQ])
Tabelle 6 Bochumer Bindungsfragebogen (BoBi)

Ergebnisse der Mediationsanalyse

Pearson Korrelationen zwischen Bindungsstil (ängstlich, vermeidend), Emotionsdysregulation und Ausprägung einer Computerspielstörung, sowie Mittelwerte und Standardabweichungen der Variablen, die in die Mediationsmodelle eingegangen sind, sind in Tabelle 7 dargestellt.

Tabelle 7 Pearson Korrelationen zwischen Bindungsstil, Emotionsdysregulation und Ausprägung einer Computerspielstörung, sowie Mittelwerte und Standardabweichungen der Variablen

Mediationsanalyse Modell 1

In der ersten Mediationsanalyse wurde untersucht, ob ein ängstlicher Bindungsstil die Ausprägung einer Computerspielstörung vorhersagt und ob dieser Zusammenhang durch die Emotionsdysregulation vermittelt wird.

Die Ergebnisse des ersten Mediationsmodells sind in Abbildung 1 dargestellt. Ein ängstlicher Bindungsstil sagt die Ausprägung einer Computerspielstörung signifikant vorher (B = .20, F[1, 278] = 19.31, p < .001, R2 = .07). Der Effekt des ängstlichen Bindungsstils auf die Emotionsdysregulation ist ebenfalls hochsignifikant (B = .56, F[1, 278] = 89.45, p < .001, R2 = .24). Daraus lässt sich schließen, dass Hypothese 1 bestätigt ist.

Abbildung 1 Mediationsanalyse Modell 1 (eigene Darstellung nach Tang et al., 2022). Die ängstliche Bindung (unabhängige Variable) beeinflusst die emotionale Dysregulation (Mediator) und diese wiederum die Ausprägung der Computerspielstörung (abhängige Variable). Der Mediator (Emotionsdysregulation) erklärt 15 % des Gesamteffekts.

Auch die emotionale Dysregulation ist ein signifikanter Prädiktor für eine stärkere Ausprägung einer Computerspielstörung, selbst wenn der ängstliche Bindungsstil kontrolliert wird (B = .21, F[2, 277] = 20.83, p < .001, Hypothese 2). Basierend auf den vorliegenden Daten kann auch Hypothese 2 bestätigt werden.

Die dritte Hypothese untersuchte, ob die Emotionsdysregulation den Zusammenhang zwischen ängstlichem Bindungsstil und Computerspielstörung vermittelt. Die Konfidenzintervalle wurden mittels Bootstrap-Verfahren berechnet. Es zeigt sich eine signifikante Mediation (B = .12, SE = .03, 95 % CI [.06, .18]). Es konnte kein direkter Effekt des ängstlichen Bindungsstils auf die Computerspielstörung nachgewiesen werden (p > .05). Somit liegt eine vollständige Mediation vor. Daher kann auch Hypothese 3 bestätigt werden. Die Emotionsdysregulation (Mediator) ist für etwa 15 % des Gesamteffekts verantwortlich (PM = .15).

Die standardisierten Beta-Koeffizienten (β) wurden zusätzlich berechnet, um die relative Wichtigkeit der Prädiktoren vergleichbar zu machen und die Auswirkungen der interessierenden Variablen auf die abhängige Variable in standardisierten Einheiten zu interpretieren. In der Mediationsanalyse 1 zeigt der Gesamteffekt des ängstlichen Bindungsstils auf Computerspielstörung einen deutlichen positiven Zusammenhang (β = .25, p < .001). Der direkte Effekt des ängstlichen Bindungsstils auf Computerspielstörung ist ebenfalls positiv, jedoch nicht signifikant (β = .11, p < .09). Der indirekte Effekt des ängstlichen Bindungsstils auf Computerspielstörung über den Mediator Emotionsdysregulation ist signifikant und beträgt .15, mit einem Bootstrap-Konfidenzintervall zwischen .08 und .22. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Mediator einen bedeutsamen Beitrag zur Beziehung zwischen ängstlichem Bindungsstil und Computerspielstörung leistet.

Mediationsanalyse Modell 2

In der zweiten Mediationsanalyse wurde untersucht, ob ein vermeidender Bindungsstil die Ausprägung einer Computerspielstörung vorhersagt und ob dieser Zusammenhang durch die Emotionsdysregulation mediiert wird.

Die Ergebnisse des zweiten Mediationsmodells sind in Abbildung 2 dargestellt. In Übereinstimmung mit Hypothese 1 konnte ein signifikanter Gesamteffekt des vermeidenden Bindungsstils auf die Ausprägung einer Computerspielstörung gefunden werden (B = .21, F[1, 278] = 15.27, p < .001, R2 = .05). Die Vorhersagekraft des vermeidenden Bindungsstils auf die Emotionsdysregulation war ebenfalls signifikant (B = .36, F[1, 278] = 22.74, p < .001, R2 = .08). Somit kann Hypothese 1 im zweiten Mediationsmodell bestätigt werden.

Abbildung 2 Mediationsanalyse Modell 2 (eigene Darstellung nach Tang et al., 2022). Die vermeidende Bindung (unabhängige Variable) beeinflusst die emotionale Dysregulation (Mediator) und diese wiederum die Ausprägung der Computerspielstörung (abhängige Variable). Der Mediator (Emotionsdysregulation) erklärt 9 % des Gesamteffekts.

Eine emotionale Dysregulation war auch ein Hinweis auf eine stärkere Ausprägung einer Computerspielstörung, selbst wenn für den vermeidenden Bindungsstil kontrolliert wurde (B = .22, F[2, 277] = 22.66, p < .001). Daher kann auch Hypothese 2 des zweiten Mediationsmodells bestätigt werden.

Die dritte Hypothese untersuchte, ob die Emotionsdysregulation den Zusammenhang zwischen dem vermeidenden Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung vermittelt. Es zeigte sich, ähnlich wie im ersten Modell, eine signifikante Mediation (B = .08, SE = .03, 95 % CI [.04, .13]). Im Gegensatz zum ersten Modell besteht jedoch auch ein signifikanter direkter Effekt zwischen dem vermeidenden Bindungsstil und der Ausprägung einer Computerspielstörung (B = .13, F[2, 272] = 22.66, p = .01). Daher liegt hier eine partielle Mediation vor und Hypothese 3 kann ebenfalls bestätigt werden. Die Emotionsdysregulation klärt insgesamt 9 % des Gesamteffekts auf (PM = .09).

Auch für das zweite Mediationsmodell wurden die standardisierten Beta-Koeffizienten (β) zusätzlich berechnet. Hier zeigt der Gesamteffekt des vermeidenden Bindungsstils auf Computerspielstörung einen signifikant positiven Zusammenhang (β = .23, p < .001). Der direkte Effekt des vermeidenden Bindungsstils auf Computerspielstörung ist ebenfalls positiv und signifikant (β = .14, p < .01). Der indirekte Effekt des vermeidenden Bindungsstils auf Computerspielstörung über den Mediator Emotionsdysregulation ist signifikant und beläuft sich auf .09, mit einem Bootstrap-Konfidenzintervall zwischen .04 und .14. Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Mediator einen bedeutenden Beitrag zur Beziehung zwischen vermeidendem Bindungsstil und Computerspielstörung leistet.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in beiden Mediationsmodellen ein signifikanter Mediationseffekt festgestellt werden konnte. Im ersten Modell liegt eine vollständige Mediation vor, da der direkte Pfad von ängstlicher Bindung auf die Ausprägung einer Computerspielstörung nicht signifikant ist. Im zweiten Modell hingegen besteht eine partielle Mediation, da ein signifikanter direkter Effekt von vermeidender Bindung auf die Ausprägung der Computerspielstörung besteht.

Diskussion

Diese Arbeit ist eine Replikationsstudie der Originalarbeit von Tang et al. (2022). Das Vorgehen, die Methoden und die Auswertung wurden so weit wie möglich an die Originalstudie angelehnt. Es wurden zwei Mediationsmodelle untersucht, wobei die unsicheren Bindungsstile (vermeidende und ängstliche Bindung) als unabhängige Variablen, die Ausprägung der Computerspielstörung als abhängige Variable und die Emotionsdysregulation als Mediationsvariable betrachtet wurden. In der Originalstudie konnten Tang et al. (2022) einen vermittelnden Effekt der Emotionsdysregulation nachweisen. Die Emotionsdysregulation vermittelte den Zusammenhang zwischen den unsicheren Bindungsstilen (ängstlich und vermeidender Bindungsstil) und der Ausprägung einer Computerspielstörung.

In unserer Untersuchung wurden alle aufgestellten Hypothesen bestätigt. In Übereinstimmung mit der ersten Hypothese beider Mediationsmodelle wurde sowohl bei der ängstlichen als auch bei der vermeidenden Bindung ein signifikanter Zusammenhang mit der Emotionsdysregulation einerseits und mit der Ausprägung einer Computerspielstörung andererseits festgestellt. Diese Ergebnisse sind konsistent mit bisherigen Erkenntnissen aus einer Metaanalyse, die zu dem Schluss kommt, dass unsichere im Vergleich zur sicheren Bindung zuverlässig mit einer schlechteren Emotionsregulation in Verbindung gebracht werden kann (Pallini et al., 2018). Außerdem wurden Zusammenhänge zwischen einem schlechteren allgemeinen emotionalen Gesundheitszustand und dem Ausmaß einer Computerspielstörung gefunden (Blasi et al., 2019; Estévez et al., 2017; Gentile et al., 2011). Auch kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass die Emotionsdysregulation die Beziehung zwischen einem unsicheren Bindungsstil und verschiedenen Substanzgebundenen Süchten, sowie Verhaltenssüchten beeinflussen kann (Liese et al., 2020). Zudem haben frühere Untersuchungen Zusammenhänge zwischen unsicheren Bindungsstilen und verschiedenen Suchtformen, sowohl verhaltens- als auch substanzbezogen, gezeigt (Schindler, 2019). Insbesondere wurde eine signifikant positive Korrelation zwischen einem ängstlichen Bindungsstil und dem Drogenkonsum festgestellt (Kassel et al., 2007). Unsichere Bindung kann hier ein Risikofaktor für den Substanzkonsum sein (Fairbairn et al., 2018). Diese Zusammenhänge wurden auch in früheren Untersuchungen zur Computerspielstörung gefunden und bestätigt (Monacis et al., 2017; Estévez et al. 2017).

Die zweite Hypothese untersuchte den Zusammenhang zwischen Emotionsdysregulation und der Ausprägung einer Computerspielstörung unter Kontrolle unsicherer Bindungsstile. Auch Hypothese 2 konnte in beiden Mediationsanalysemodellen bestätigt werden. Diese Ergebnisse stimmen mit anderen Untersuchungen überein, die darauf hindeuten, dass die Emotionsregulation bzw. Emotionsdysregulation einer der Hauptfaktoren für Alkoholsucht und andere Süchte ist (Berking et al., 2011). Ineffiziente Emotionsregulationsstrategien können zu verstärktem Verlangen (Craving) und fortgesetztem Alkoholkonsum führen (Petit et al., 2015). Diese Befunde weisen auf die Bedeutung negativer Emotionen bei der Entstehung von Suchterkrankungen hin. Auch im Bereich der Computerspielstörung deuten Ergebnisse darauf hin, dass die Emotionsdysregulation eine wichtige Rolle bei problematischem und pathologischem Computerspielen spielt bzw. spielen kann (Blasi et al., 2019).

Die dritte Hypothese untersuchte die Mediationswirkung der Emotionsdysregulation. Beide Mediationsanalysemodelle ergaben eine mediierende Wirkung der Emotionsdysregulation. Die Emotionsdysregulation vermittelte den positiven Zusammenhang zwischen unsicheren Bindungsstilen und der Ausprägung einer Computerspielstörung. Während das Mediationsmodell 1 eine vollständige Mediation des Zusammenhangs von vermeidender Bindung auf die Ausprägung einer Computerspielstörung zeigte, wurde für das Mediationsmodell 2 eine partielle Mediation aufgrund des direkten Effekts zwischen vermeidender Bindung und der Ausprägung der Computerspielstörung festgestellt. Diese Ergebnisse stimmen mit den kanadischen Ergebnissen von Tang et al. (2022) überein. Allerdings werden im Artikel keine Informationen zur Art der Mediation (vollständigen / partiell) genannt.

Neben einer Übereinstimmung unserer Ergebnisse mit den Befunden von Tang et al. (2022), müssen die Ergebnisse aber auch im Hinblick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen Studien diskutiert werden. In einer früheren Untersuchung wurde berichtet, dass die Emotionsdysregulation eine wichtige Rolle bei unsicheren Bindungsstilen und Suchterkrankungen spielt, jedoch die Mediation im Zusammenhang mit Online-Spielen variieren kann. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Emotionsdysregulation nur zwischen unsicherer Bindung und der Ausprägung der Computerspielstörung vermittelt, während sie für die vermeidende Bindung kein signifikanter Mediator war (Liese et al., 2020). Im Gegensatz dazu konnte Estévez et al. (2017) zeigen, dass die Ausprägung einer Computerspielstörung sowohl mit der Emotionsdysregulation als auch mit verschiedenen Bindungstypen zusammenhängt. Diese Befunde werden durch die Untersuchung von Suárez, Cephas und Singh (2012) zu Massively Multiplayer Online Games unterstützt, bei der ein signifikanter Zusammenhang zwischen ängstlicher und vermeidender Bindung und problematischem bzw. pathologischem Computerspielen festgestellt wurde. Auch wurde ein signifikanter Unterschied in den GAIA-Gesamtsuchtwerten zwischen Männern und Frauen beobachtet, was mit den Befunden der vorliegenden Studie übereinstimmt. Männer wiesen einen signifikant höheren Durchschnittswert im GAIA-Fragebogen auf als Frauen. Sowohl Liese et al. (2020) als auch Suárez et al. (2012) konzentrierten sich in ihren Untersuchungen auf das Online-Spielen und schlossen die Mehrheit der Spielenden aus, die hauptsächlich Offline-Spielewelten erkundeten. Die vorliegende Studie konnte die Geschlechterverteilung gut abbilden, da sie dem Verband der deutschen Games-Branche (2022) zufolge im Jahr 2021 bei etwa 50/50 lag.

Weitere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Spielzeit ein wichtiger Faktor für Computerspielstörungen sein kann. Allerdings konnte diese Studie dieses Ergebnis nur teilweise bestätigen (Van Rooij, Schoenmakers, Vermulst, Van den Eijnden & Van de Mheen, 2011). Es wurde festgestellt, dass die wöchentliche Spielzeit einen signifikanten Zusammenhang mit der Ausprägung der Computerspielstörung aufweist, aber nur einen geringen Beitrag zur Varianz der Ausprägung erklären kann. Diese Ergebnisse stimmen mit früheren Befunden überein, dass die Gesamtspielzeit nur einen geringen mittleren Effekt auf Computerspielstörungen hat (Király, Tóth, Urbán, Demetrovics & Maraz, 2017). Demnach ist die Spielzeit in dieser Untersuchung ein Faktor, jedoch nicht der alleinige entscheidende Faktor (Brunborg, Mentzoni & Frøyland, 2014).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hypothesen der Mediationsanalysemodelle bestätigt wurden. Die Ergebnisse decken sich mit den Befunden der Originalstudie von Tang et al. (2022). Die vorliegende Studie liefert zusätzliche Erkenntnisse, die als Grundlage für zukünftige Forschung dienen können. Da das Forschungsgebiet noch jung ist, gibt es weiteres Potenzial für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Computerspielstörungen, Bindungsstilen und Emotionsdysregulation.

Bisherige Studien haben sich hauptsächlich auf Online-Gaming konzentriert, während der Bereich des Offline-Gaming weitgehend unerforscht bleibt (Liese et a., 2020). Es wäre auch wünschenswert, dass zukünftige Forschungen vielfältigere Modelle verwenden, um aussagekräftigere Aussagen für eine breitere Bevölkerungsgruppe treffen zu können. Die familiäre Situation stellt ein weiteres interessantes Gebiet dar, das weitere Untersuchungen erfordert. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass elterliche Verhältnisse ein Faktor für die Entwicklung von Computerspielstörungen sein können (Coşa et al., 2022; Gan et al., 2022). In Kombination mit den hier genannten Ergebnissen zur Emotionsdysregulation und der Tatsache, dass emotional dysregulierte Eltern diese unsicheren Emotionsregulationsstrategien weitergeben können, eröffnet sich ein vielversprechendes Forschungsfeld (Ulrich & Petermann, 2017). Auch muss bedacht werden, dass möglicherweise verschiedene inkonsequente, intransparente Umwelt-/ Beziehungseinflüsse einen Einfluss haben können. So zeigte sich auch in einer posthoc-Analyse unserer Daten, dass ein niedrigeres Familieneinkommen mit einer erhöhten emotionalen Dysregulation einhergeht. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass Menschen, die vielfältige und undurchsichtige Einflüsse in ihrer Umwelt oder in zwischenmenschlichen Beziehungen erleben, höchstwahrscheinlich vermehrt Probleme bei der Regulation ihrer Emotionen haben. Auch heteronormative Wertorientierungen können Einfluss auf verschiedene Aspekte des Lebens haben, einschließlich des Umgangs mit Emotionen. Neben Umweltfaktoren spielen auch genetische Faktoren bei der Entstehung von Bindungsstilen eine Rolle. Untersuchungen zu möglichen Kandidatengenen, wie dem Mu-Opioid-Rezeptorgen, können dazu beitragen, die Verbindung zwischen der genetischen Basis und der Ausprägung von Bindungsstilen besser zu verstehen (Troisi, 2022) und sollten zukünftig im Rahmen eines „nature-nurture-Ansatzes“ weiter untersucht werden.

Es wäre auch wünschenswert, dass zukünftige Studien zur Computerspielstörung verstärkt die weibliche Zielgruppe untersuchen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Frauen zwar nicht so lange spielen, aber etwa ein Viertel der befragten Frauen Suchttendenzen aufweist bzw. pathologisches Computerspielen zeigt. Da Frauen signifikant lieber offline spielen, lässt sich vermuten, dass ein großer Teil der weiblichen Spieler aufgrund der begrenzten Forschung zu Offline-Spielen in der Vergangenheit weniger Beachtung fand. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Merkmale als „typisch“ für ein Geschlecht betrachtet werden, weil sie den vorherrschenden heteronormativen Erwartungen entsprechen.

Der Markt für Mobile Games wird ebenfalls als interessant und noch nicht ausreichend erforscht eingeschätzt. Obwohl der Smartphone-Markt derzeit der größte in Deutschland ist, fehlen bisher vergleichbare Untersuchungen zu diesem Bereich (game – Verband der deutschen Games-Branche e.V, 2022). Wie bei allen Befragungen besteht auch bei dieser Studie die Möglichkeit, dass sozial erwünschte Antworttendenzen das Ergebnis beeinflusst haben. In zukünftigen Studien könnten objektive Verhaltensmaße, wie von Qasem & Fauth-Bühler (2023) für die Smartphonenutzungsstörung vorgeschlagen, helfen, objektivere und validere Erkenntnisse zu erhalten, insbesondere in Bezug auf das Computerspielverhalten. Es wird relevant sein, die hier berichteten Ergebnisse in den Kontext anderer Faktoren von Computerspielstörungen zu stellen und zu überprüfen. Es wird auch entscheidend sein, in zukünftigen Untersuchungen eine größere und vielfältigere Stichprobe von Studierenden zu erreichen, um die Ergebnisse auf eine breitere Bevölkerungsgruppe verallgemeinern zu können.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Verständnis der Computerspielstörung durch die Untersuchung von Bindungsstilen und Emotionsregulationsschwierigkeiten vertieft werden kann. Bestimmte Bindungsstile, insbesondere unsicher-vermeidende oder ängstliche Bindungsmuster, könnten in Kombination mit Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Computerspielstörungen darstellen. Personen mit unsicher-vermeidenden Bindungsstilen neigen möglicherweise dazu, sich in virtuellen Welten zurückzuziehen, während diejenigen mit ängstlichen Bindungsstilen möglicherweise verstärkt virtuelle Beziehungen suchen. Emotionsregulationsschwierigkeiten könnten dazu führen, dass Computerspiele als Bewältigungsmechanismus genutzt werden.

Diese Befunde könnten mit anderen Mechanismen der Entstehung und Aufrechterhaltung von Computerspielstörungen interagieren, wie beispielsweise sozialem Umfeld, Persönlichkeitsmerkmalen und neurobiologischen Faktoren (Perlini et al., 2019). Daher sollten bestehende Störungsmodelle, die sich auf Aspekte wie Suchtpotenzial oder Impulskontrolle konzentrieren, um die Dimensionen der Bindungsstile und Emotionsregulation erweitert oder spezifiziert werden. Ein integriertes Modell könnte eine umfassendere Perspektive auf die Computerspielstörung bieten, indem es die individuellen psychologischen und sozialen Faktoren, die mit dieser Störung verbunden sind, berücksichtigt. Es wäre wichtig, die Interaktionen zwischen diesen Faktoren zu verstehen, um effektivere Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln.

Schlussfolgerungen für die Praxis

  • Die Emotionsdysregulation spielt eine vermittelnde Rolle zwischen unsicheren Bindungsstilen und der Ausprägung einer Computerspielstörung.
  • In der klinischen Praxis sollte die Emotionsdysregulation stärker bei der Behandlung von Suchterkrankungen, insbesondere der Computerspielstörung, berücksichtigt werden.
  • Weitere Forschung in diesem Bereich kann dazu beitragen, die Behandlungsansätze für Computerspielstörungen in der Praxis weiterzuentwickeln. Dies ist vor dem Hintergrund der Zunahme von Computerspielstörungen und der weit verbreiteten Nutzung von Computerspielen auf mobilen Geräten von zentraler Bedeutung.

Literatur