Pneumologie 2000; 54(7): 306-308
DOI: 10.1055/s-2000-4457
KONGRESSBERICHT
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

COPD - eine diagnostische und therapeutische Herausforderung

Kongressbericht zum Workshop der Firma Boehringer Ingelheim Pharma KG am 3. März 2000 in Hamburg im Rahmen des 20. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie A. Gillissen
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, COPD oder auch COLD (chronic obstructive pulmonary bzw. lung disease) genannt, entsteht hauptsächlich durch die langjährige Einwirkung inhalativer Noxen (insbesondere Zigarettenrauch), kann aber auch genetisch determiniert sein, erklärte der Vorsitzende des Workshops, Prof. Adrian Gillissen. In den folgenden Referaten wurde deutlich, dass in den Bereichen Epidemiologie, Diagnostik, Pathophysiologie und Therapie ein erheblicher zusätzlicher Forschungsbedarf besteht, und dass in der Zukunft interessante Weiterentwicklungen zu erwarten sind.

Die Differentialdiagnostik mittels lungenfunktionsanalytischer Verfahren wurde von Prof. Helgo Magnussen, Großhansdorf, dargestellt. Mit der Einsekundenkapazität FEV1 kann nicht zwischen Asthma und COPD unterschieden werden. Nach Inhalation eines Bronchodilatators geht es COPD-Patienten häufig subjektiv besser, ohne dass ein entsprechender Anstieg der FEV1 messbar ist. Die forcierte inspiratorische Einsekundenkapazität FIV1 korreliert im Gegensatz dazu gut mit der Dyspnoe, wie aktuelle Untersuchungen aus Großhansdorf ergaben. Die relaxierende Wirkung auf die Muskulatur der Bronchialwand kann durch die erheblichen Kräfte, die bei der forcierten Exspiration von außen auf den Bronchus einwirken, maskiert werden. Beim forcierten Inspirationsmanöver wird die bronchodilatatorische Wirkung offensichtlicher. Die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse ist gut. Eine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Asthma und COPD bietet die Compliance-Messung, also die Registrierung von Druck-Volumen-Kurven. Die Interaktion zwischen Alveolen und Atemwegen wird durch die sog. „alveolar attachments” bestimmt. Bei 90 % der totalen Lungenkapazität korreliert die Compliance mit der Zahl dieser Attachments. Pathologische Veränderungen bei der COPD führen daher zu funktionell messbaren Veränderungen. Eine direkte Bestimmung des Durchmessers der Atemwege erlaubt die Technik der „Aerosol Derived Airway Morphometry”. Bei COPD kann von einem mittleren Atemwegsdurchmesser von 1 mm und bei Asthma von 0,5 mm (wie bei Gesunden) ausgegangen werden. Diese Technik ist jedoch erst in wenigen Zentren verfügbar. Weiter verbreitet ist dagegen die Messung der Diffusionskapazität. Auch sie erlaubt eine Unterscheidung der beiden Erkrankungen: Während die Diffusion von Kohlenmonoxid beim Asthma normal ist, ist die TLCO bei COPD-Patienten auf rund 55 % reduziert. Unter körperlicher Belastung besteht bei der COPD die einzige Anpassungsmöglichkeit aus dem Verschieben des Lungenvolumens in Richtung Inspiration, wodurch die inspiratorische Kapazität kleiner wird. Die medikamentöse Verbesserung der inspiratorischen Kapazität zwischen Ruhe und Belastung korreliert linear mit der Abnahme der Dyspnoe, wie sie mit der Borg-Skala gemessen wird. Atemnot als subjektives Gefühl kann demnach auf die dynamische Lungenüberblähung zurückgeführt werden.

Prof. Dennis E. O'Donnell aus Kingston in Kanada gab einen Überblick über die symptomatische anticholinerge Therapie der COPD. Funktionell ist diese Erkrankung charakterisiert durch eine exspiratorische Flusslimitierung. Dieser liegen einerseits irreversible Veränderungen wie Parenchymzerstörung und Fibrose zugrunde, andererseits aber auch variable Komponenten, die pharmakologisch beeinflussbar sind. Zu den letzteren gehört der Vagustonus, der maßgeblich zur Atemwegsobstruktion beiträgt. Selbst bei normalem Vagustonus ist der Atemwegswiderstand in den strukturell verengten Luftwegen der COPD erhöht, und bereits leichte Verringerungen des Vagustonus führen zu klinisch relevanten Effekten. Ipratropiumbromid z. B. senkt den Vagustonus und wirkt bei COPD besser und länger antiobstruktiv als Salbutamol. Neuere Studien belegen, dass Patienten nach Anticholinergika weniger unter Atemnot litten und eine längere Gehstrecke zurücklegen konnten. Die beobachteten Veränderungen der FEV1 waren allerdings nur geringfügig, so dass die FEV1 bei COPD kein guter Parameter zur Erfassung der Wirksamkeit einer antiobstruktiven Therapie sei. Sie erfasse weder die mechanische Restriktion noch das Phänomen, dass COPD-Patienten auf Belastung mit einer Erhöhung des inspiratorischen Reservevolumens reagieren, sagte O'Donnell. Wegen der Überblähung ist das Zwerchfell abgeflacht und seine Kontraktionskraft reduziert. Der Patient muss bei der Inspiration erst einen „Auto-PEEP” von rund 10 cm H2O überwinden, bevor Luft fließen kann. Das endexspiratorische Volumen ist bei COPD erhöht und nimmt unter Belastung weiter zu, fast bis die Ruhe-TLC erreicht wird. Sinnvolle Tests zur Dokumentation der Bronchodilatation sind die langsame inspiratorische Vitalkapazität, die bodyplethysmographisch gemessene funktionelle Residualkapazität (FRC) sowie die Fluss-Volumen-Kurven unter Belastung. Die inspiratorische Kapazität nimmt nach Ipratropiumbromid signifikant zu, womit eine Zunahme der körperlichen Ausdauer assoziiert ist. Nach anticholinergischer Therapie kommt es zu einer Reduktion des erhöhten Residualvolumens, was O'Donnell als pharmakologische Volumenreduktion bezeichnete. Der Patient kann ein definiertes Volumen bei niedrigeren Lungenvolumina einatmen; sein Atemmuster wird effizienter. Mit Ipratropiumbromid und seinen Weiterentwicklungen ist eine pharmakologische Volumenreduktion von etwa 800 bis 1000 ml erreichbar. Dabei bewirkten geringe Reduktionen der Überblähung wichtige symptomatische Verbesserungen für den Patienten. Die günstigere Atemmechanik reduziert die Atemnot, der Patient ist besser belastbar und seine Lebensqualität steigt an.

Einen Vergleich internationaler Therapieempfehlungen zur Behandlung der COPD stellte Prof. Heinrich Worth aus Fürth vor. Er bezog sich dabei auf die zwischen 1995 und 1999 publizierten Richtlinien aus elf verschiedenen Ländern, von denen er sechs direkt gegenüberstellte: die deutschen, die österreichischen, die brititschen, die europäischen, die US-amerikanischen und die kanadischen Empfehlungen. Die Definitionen der COPD unterscheiden sich deutlich zwischen den Ländern, wobei in den deutschen Empfehlungen das Lungenemphysem nicht definiert ist. Auch beim Schweregrad sind erhebliche Unterschiede zu verzeichnen: die Amerikaner sprechen bei einer FEV1 oberhalb von 50 % des Sollwertes von „leichter” COPD, während die FEV1 dazu in Großbritannien zwischen 60 % und 79 % und in Kanada oberhalb von 70 % liegen muss. Hinsichtlich der medikamentösen Therapie werden Anticholinergika, β2-Sympathikomimetika und Theophyllin in allen Empfehlungen erwähnt. Langwirksame inhalative β2-Sympathikomimetika werden überwiegend bei ungenügendem Ansprechen auf die kurzwirksamen Derivate empfohlen. Anticholinergika werden in einigen Richtlinien als wirksamer als Salbutamol und verwandte Substanzen angesehen. Während die Wirkung von Theophyllin von den Amerikanern als fraglich bewertet wird, halten es die deutschen Empfehlungen für gerechtfertigt, Responder und Non-Responder mit einem Therapie- bzw. Auslassversuch zu identifizieren. Inhalative Steroide werden insgesamt zurückhaltend bewertet, wenngleich die neuesten klinischen Prüfungen noch nicht berücksichtigt werden konnten. Allerdings zeigen auch die aktuellen Studien kein Aufhalten der Progression der Erkrankung, betonte Worth. Antibiotika würden von den meisten Experten bei akuten Infekten empfohlen, wobei die Auswahl der geeigneten Substanz je nach Risikoprofil des Patienten erfolgen soll. Mukopharmaka spielen eine geringe Rolle und werden vorwiegend in Deutschland und Österreich erwähnt. Von den nicht-medikamentösen Behandlungsmaßnahmen, die wichtige Bestandteile der Langzeittherapie sind, werden Physiotherapie, Schulung und Rehabilitation dargestellt. Pneumokokken- und Influenza-Impfung sind wichtige präventivmedizinische Maßnahmen und werden in den meisten Richtlinien ausdrücklich empfohlen. Schließlich kündigte Worth an, dass die in Überarbeitung befindlichen Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zur Therapie der COPD alle genannten Aspekte vollständig berücksichtigen und zusätzlich Literaturangaben und den Grad wissenschaftlicher Evidenz beinhalten werden.

Prof. Roland Buhl aus Mainz referierte über die zukünftige Therapie der COPD. Obwohl die pathologischen Veränderungen teilweise irreversibel sind, besteht kein Grund zu therapeutischem Nihilismus. Große Aufmerksamkeit muss der Raucherentwöhnung zukommen. Gute Erfolge wurden mit dem Neuroleptikum Bupropion (kombiniert mit verbalen ärztlichen Interventionen) erzielt; nach einem Jahr waren immerhin 20 % der Patienten abstinent. Fortschritte gibt es auch bei Neuentwicklungen zu den wichtigsten Medikamentengruppen Anticholinergika, Xanthine und β2-Sympathikomimetika (Abb. [1]). Anticholinergika reduzieren den vagalen Tonus, indem sie auf muskarinerge M1-, M2- und M3-Rezeptoren einwirken. Die Weiterentwicklung Tiotropium wirkt selektiv an den M1- und den M3-Rezeptoren und hat den Vorteil einer langen Wirkdauer ohne Kumulation. Durch Formoterol konnten Atemwegswiderstand und Atemarbeit deutlich reduziert werden, so dass langwirksame inhalative β2-Sympathikomimetika bei COPD eine Behandlungsalternative sind. Interessant ist auch die neue Substanzgruppe der β2D2-Stimulanzien, die in ersten klinischen Versuchen eine Reduktion der Dyspnoe bewirkten. Auf inhalative Steroide sprechen nur rund 10 - 15 % der COPD-Patienten an, insbesondere Patienten mit einer Veranlagung zum Asthma. Erwiesen ist, dass diese Substanzen in den ersten sechs Therapiemonaten eine Steigerung der FEV1 bewirken, und dass sie einen positiven Einfluss auf Gehstrecke, Exazerbationen und Lebensqualität haben können. Langfristig wird durch inhalative Steroide die Progredienz der Erkrankung jedoch nicht beeinflusst. Hinsichtlich der neutrophilen Bronchitis ist mit weiteren Neuentwicklungen zu rechnen: LTB4-Antagonisten befinden sich in frühen und der PDE4-Inhibitor Ariflo in späten Phasen der klinischen Prüfung. Demgegenüber ständen klinische Daten von monoklonalen IL-8-Antikörpern, TNF-α-Inhibitoren und Inhibitoren von Adhäsionsmolekülen noch aus. Eine Antiproteolyse wurde mit α1-Antiprotease bereits erreicht, SLPI oder Elafin könnten Alternativen sein. Im Tierexperiment ist es inzwischen gelungen, zerstörte Alveolen nachwachsen zu lassen, und zwar mit Vitamin-A-Säure. Mit neuen genetischen Markern hofft man, Risiko-Populationen erfassen zu können, da das Rauchen ja nicht bei allen Menschen zu einer COPD führt. So weisen 24 % der Patienten mit chronischer Bronchitis eine Homozygotie des TNF-2-Allels auf. Insgesamt wird zur Zeit versucht, an mehreren Stellen des pathophysiologischen Ablaufs therapeutisch einzuwirken, und für die nahe Zukunft ist mit spannenden neuen Erkenntnissen zu rechnen.

Wie häufig sind Atemwegsbeschwerden und Lungenfunktionsveränderungen in der Allgemeinpraxis? Über aktuelle Ergebnisse einer kürzlich ausgewerteten epidemiologischen Studie berichtete Dr. Tobias Welte, Magdeburg. Dieses Projekt wurde zusammen mit Prof. Magnussen in Großhansdorf und den Lübecker und Magdeburger Epidemiologen durchgeführt. In Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein wurde bei jeder 2. Person, die eine der teilnehmenden Allgemeinpraxen aufsuchte, eine Befragung zu respiratorischen Symptomen und eine Lungenfunktionsmessung durchgeführt. Insgesamt wurden in Sachsen-Anhalt Daten von 2569 und in Schleswig-Holstein von 1812 Personen ausgewertet. Belastungsdyspnoe gehörte zu den am häufigsten angegebenen Symptomen; jeder vierte Patient berichtete davon. Demgegenüber waren klassische pulmonale Symptome wie Husten und Auswurf seltener. Geschlechtsunterschiede gab es vor allem bei Husten (überwiegend Männer) und Dyspnoe (überwiegend Frauen). Jede siebte untersuchte Person hatte bei der Lungenfunktionsprüfung eine FEV1 unterhalb von 80 % und jede zwölfte einen Wert unter 70 % der Norm. Wenn Lungenfunktionsergebnisse und angegebene Symptome so zusammengefasst wurden, dass sie mit Kriterien für Krankheitsentitäten übereinstimmten, ergaben sich in Sachsen-Anhalt höhere Inzidenzen für chronischen Husten und für „pathologische Lungenfunktion ohne Symptome”, während die chronische Bronchitis in Schleswig-Holstein etwas häufiger vorkam (Tab. [1]). Von einer chronisch obstruktiven Bronchitis waren bei älteren Patienten, nicht jedoch bei unter 40-Jährigen, Männer häufiger betroffen als Frauen, was eindeutig mit dem Rauchverhalten zusammenhing. Erwartungsgemäß berichteten Raucher häufiger über länger als 3 Monate andauernden Husten und Auswurf als Nichtraucher, während dies für Dyspnoe oder nächtliche Atemsymptome nicht galt. Nur die Hälfte der Personen mit erniedrigter FEV1 wurde mit Atemwegsmedikamenten behandelt, da die Symptome auf Herz- und nicht auf Lungenerkrankungen zurückgeführt worden waren. Demgegenüber wurden 10 % der Personen mit normaler FEV1 trotz fehlender Obstruktion mit Bronchodilatatoren behandelt. In Sachsen-Anhalt erhielten zwei Drittel der Behandelten β2-Sympathikomimetika, 15 % Anticholinergika, 25 % inhalative Steroide, 13 % Theophyllin und 6 % orale Steroide. Diese Daten geben erstmals Auskunft über die Häufigkeit von Atemwegsbeschwerden und Lungenfunktionseinschränkungen in Deutschland. Sie zeigen, dass Dyspnoe als Leitsymptom häufiger angegeben wird als die klassischen Beschwerden Husten und Auswurf. Versäumnisse in der Diagnostik und Therapie von Patienten mit Hinweisen auf eine COPD wurden ebenfalls deutlich. Bei der Interpretation darf nicht vergessen werden, dass die untersuchten Personen aus Allgemeinpraxen rekrutiert wurden, also aus einer Klientel, die aus verschiedensten Gründen den Hausarzt aufgesucht hat. Die erhobenen Daten können daher nicht ohne weiteres auf die Allgemeinbevölkerung übertragen werden.

Tab. 1Häufigkeit von Atemwegsbeschwerden und Lungenfunktionsstörungen bei Patienten in Allgemeinpraxen (mit freundlicher Genehmigung von Dr. Tobias Welte) Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Chronischer Husten 5,0 6,3 FEV1 ≤ 80 % 1,7 1,2 FEV1 ≤ 70 % 0,7 0,7 Chronische Bronchitis 3,7 5,7 Chronisch obstruktive Bronchitis FEV1 ≤ 80 % 1,7 1,5 FEV1 ≤ 70 % 1,2 1,0 Andere Symptome FEV1 > 70 % 30,2 33,2 FEV1 ≤ 70 % 3,8 3,1 Keine Symptome, FEV1 ≤ 70 % 2,1 1,7

Abb. 1Wichtige Medikamentengruppen zur Behandlung der COPD (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Roland Buhl).

Priv.-Doz. Dr. med G Steinkamp

Schellingstr. 5a 30625 Hannover

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