Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 666
DOI: 10.1055/s-0031-1300582
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

V. Versorgung, Recht und Ethik

Versorgungsnotwendigkeiten und Defizite im ambulanten und stationären Bereich
Christoph Fuchs
1   Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer a. D., Berlin
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Publication Date:
06 February 2012 (online)

Wir alle spüren: Palliativmedizin hat in den vergangenen Jahren in Deutschland sowohl qualitativ wie auch quantitativ eine enorme Entwicklung erfahren. Palliativmedizinische Versorgungsangebote und hospizliche Dienste verstehen sich komplementär und längst nicht mehr konkurrierend. Palliativmedizin kommt ohne Angebote aus dem Hospizdienst nicht aus. Umgekehrt müssen hospizdienstliche Angebote durch eine gute palliativmedizinische und -pflegerische Versorgung ergänzt werden.

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, sich ändernder gesellschaftlicher Strukturen, der zunehmenden Bedeutung unheilbarer Krankheiten, der Diskussion über den Umgang mit Sterben und Tod wird die Betreuung von Menschen in der letzten Lebensphase eine immer größere gesellschaftliche Herausforderung.

Mit der Erarbeitung und Verabschiedung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland” (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., Deutscher Hospiz- und Palliativ-Verband e.V., Bundesärztekammer; Berlin 2010) sind wichtige Denkanstöße in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Die dort formulierten Ziele bedürfen einer systematischen Verfolgung und Umsetzung.

Ein wichtiges Ziel wird sein, die Palliativmedizin in der allgemeinen Patientenversorgung zu etablieren und zu integrieren. Dies gilt für den ambulanten Bereich ebenso wie für den stationären. Pflegeeinrichtungen müssen in sektorübergreifende Versorgungsnetze einbezogen werden.

Palliatiwersorgung beschränkt sich nicht allein auf Tumorkranke. Auch Patienten mit weit fortgeschrittener demenzieller, pulmonaler, kardialer oder renaler Erkrankung benötigen dieses Versorgungsangebot. Es sollte auch nicht länger auf die letzte Phase des Lebens beschränkt bleiben. Schon in der frühen Phase unheilbarer Erkrankungen kann Palliatiwersorgung eine wichtige Hilfe sein.

Die Verankerung der Palliativmedizin als Pflicht- und Prüfungsfach in der ärztlichen Ausbildung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die zu geringe Zahl von Lehrstühlen für dieses Fach an den medizinischen Fakultäten in Deutschland steht mit dieser Entwicklung nicht im Einklang. Die Forderungen nach der Einrichtung solcher Lehrstühle an allen medizinischen Fakultäten sind auch deshalb berechtigt, weil die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten in diesem Fach auf hohem wissenschaftlichem Niveau stattfinden muss. Evidenzbasierung, Qualitätssicherung und Versorgungsforschung sollten insbesondere im Fokus wissenschaftlicher Betrachtung stehen. Hierzu sind öffentliche Fördermittel bereitzustellen.

Auch in Zukunft bleiben grundlegende ethische Fragestellungen in der Palliativmedizin zu beantworten. Dies gilt für die ärztliche Indikationsstellung, für deren Überprüfung und unter Umständen für eine Therapiezieländerung. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung sollen dabei eine Orientierung geben. Sie können jedoch die eigene Verantwortung in der konkreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidungen müssen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls getroffen werden. Denn Sterben ist nicht normierbar.

Zum ärztlich assistierten Suizid hat der diesjährige 114. Deutsche Ärztetag in Kiel eine klare Position bezogen, die es in Zukunft zu beachten gilt: in dem neuen formulierten Paragraph 16 der Muster-Berufsordnung heißt es „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. “

Zu den notwendigen Weiterentwicklungen der Palliatiwersorgung in Deutschland zählen unter anderem:

  • Valide Zahlen durch ein schon geplantes Palliativregister

  • Qualitätssicherung

  • Umsetzung der Vorgaben des SGB V zur speziellen ambulanten Palliatiwersorgung (SAPV)

  • Kinder-SAPV

  • Allgemeine ambulante Palliatiwersorgung (AAPV)

  • Vernetzung der Leistungserbringer

  • Versorgungsforschung

Insbesondere die Versorgungsforschung eröffnet die Chance, die Palliativmedizin als einen Versorgungsbereich einzuordnen, dem sich unsere Gesellschaft mit höchster Priorität zuwenden muss.