Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 643-644
DOI: 10.1055/s-0031-1300571
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Durchbruchschmerz – ein verkanntes Problem oder Jammern auf hohem Niveau?

Frank Elsner
1   Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
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Publication Date:
06 February 2012 (online)

Achtzig und mehr Prozent aller Tumorpatienten leiden unter Schmerzen. Ungefähr zwei Drittel aller Tumorpatienten leiden an Durchbruchschmerzen. Die typische Durchbruchschmerz-Episode tritt schnell auf, dauert nur kurz (< 30 min bei 2 von 3 Patienten) und ist sehr intensiv.

Es gibt jedoch aktuell keine allgemein anerkannte Definition von Durchbruchschmerzen. Die aktuellste Definition von Durchbruchschmerzen lautet „eine vorübergehende Schmerzexazerbation, die bei Patienten mit relativ konstanten und angemessen kontrollierten Dauerschmerzen auftritt” Vor kurzem hat eine Expertengruppe eine Erweiterung dieser Definition vorgeschlagen: „eine vorübergehende Schmerzexazerbation, die spontan oder im Zusammenhang mit einem bestimmten vorhersehbaren oder nicht vorhersehbaren Auslöser trotz relativ konstanten und angemessen kontrollierten Dauerschmerzen auftritt”.

Durchbruchschmerzen werden üblicherweise im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis eingestuft, können aber auch spontan auftreten. Daher ergibt eine Klassifikation folgende Untertypen: 1. Spontanschmerz (auch bekannt als idiopathischer Schmerz) –dieser Schmerztyp tritt unerwartet auf. 2. Ereignisabhängiger Schmerz (auch bekannt als „ausgelöster Schmerz “ oder auch, falls zutreffend, als „durch Bewegung ausgelöster Schmerz”) – dieser Schmerztyp tritt im Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis auf und kann wiederum in drei Kategorien unterteilt werden: 2.1. Willentlich ausgelöster Schmerz – wird durch eine bewusst gesteuerte Handlung ausgelöst (z.B. Gehen). 2.2. Unwillentlich ausgelöster Schmerz – wird durch eine unbewusst gesteuerte Handlung ausgelöst (z. B. Husten) und 2.3. Prozedurenabhängiger Schmerz – tritt im Zusammenhang mit einer Therapiemaßnahme auf (z. B. Wundbehandlung).

Schmerzdurchbrüche am Ende eines Dosierungsintervalls einer Dauermedikation wurden in der Vergangenheit ebenfalls als Unterkategorie von Durchbruch-schmerzen betrachtet. Schmerzdurchbrüche am Ende eines Dosierungsintervalls stellen eine Exazerbation der Schmerzen dar, die vor dem nächsten Dosisschritt des Analgetikums gegen Dauerschmerzen auftritt und dessen abnehmende Wirkung widerspiegelt. Viele Experten betrachten Schmerzdurchbrüche am Ende eines Dosie-rungsintervalls allerdings zu Recht inzwischen nicht mehr als Unterkategorie von Durchbruchschmerzen, sondern vertreten die Meinung, dass Schmerzdurchbrü-che am Ende eines Dosierungsintervalls das Ergebnis von unzureichend kontrollierten Dauerschmerzen sind, so dass die Diagnose eines Durchbruchschmerzes ja definitionsgemäß gar nicht gestellt werden kann.

Die Behandlung der Durchbruchschmerzen sollte patientenindividuell durchgeführt werden. Die optimale Behandlung der Durchbruchschmerzen hängt von einer Reihe von Faktoren ab, inklusive der Schmerzätiologie (bezogen auf Krebs, die Therapie und die Begleiterkrankung), der Pathophysiologie des Schmerzes (nozizeptiv, neuropathisch, gemischt) und anderer klinischer Merkmale der Schmerzen. Darüber hinaus hängt die Behandlung der Durchbruchschmerzen von einer Reihe von patientenbezogenen Faktoren ab, inklusive des Krankheitsstadiums (früh, fortgeschritten), des Performance-Status (gut, schlecht), und der persönlichen Einstellung des Patienten.

Die erfolgreiche Behandlung der Durchbruchschmerzen hängt von der richtigen Beurteilung des Patienten ab. Patienten mit Schmerzen sollten auf mögliche Durchbruchschmerzen angesprochen werden. Das Ziel der Beurteilung besteht darin, die Schmerzätiologie zu bestimmen, außerdem die Pathophysiologie des Schmerzes und jegliche Faktoren, die bestimmte Maßnahmen indizieren bzw. kontraindizieren würden. Die Beurteilung der Durchbruchschmerzen entspricht letztlich im Ganzen der Beurteilung der Dauerschmerzen.

Die Behandlung der Durchbruchschmerzen kann folgende Maßnahmen einschließen: die Therapie der eigentlichen Ursache des Schmerzes, die Vermeidung und/oder die Therapie des den Schmerz auslösenden Faktors, die eventuell notwendige Anpassung des Analgetikums gegen Dauerschmerzen (auch wenn dann definitionsgemäß ja kein Durchbruchschmerz vorliegt, was ein Patient wiederum jedoch anders empfinden kann), die Verwendung einer Bedarfsmedikation („Durchbruchmedikation”), die Anwendung von nichtpharmakologischen Ansätzen und von Interventionstechniken. Bei der Therapie der Durchbruchschmerzen sind Opioide die Bedarfsmedikation der ersten Wahl, wobei es sehr wichtig ist, den richtigen Ansatz (und die richtige Dosis) zu wählen.

Eine ideale Durchbruchschmerz-Medikation sollte möglichst schnell und nicht länger als die durchschnittliche Länge der Episoden (~ 30 min) wirken. Sie sollte nach Möglichkeit nicht invasiv sein. Der Patient sollte eine derartige Medikation schnell und einfach anwenden können.

Derzeit werden häufig noch verschiedene Opioide wie Morphin, Hydromorphon und Oxycodon zur Behandlung von Durchbruchschmerzen eingesetzt. Das Wirkmaximum dieser Substanzen wird erst nach 30 oder mehr Minuten erreicht. Bei 2 von 3 Patienten mit Durchbruchschmerzen ist dann allerdings das Ereignis spontan wieder abgeklungen. So wirken bei 2 von 3 Patienten die obengenannten Medikamente erst, wenn eigentlich keine Behandlungsnotwendigkeit mehr besteht. Der Patient und der Behandler allerdings verzeichnen in diesen Fällen für sich einen Erfolg der Medikation.

Neuere Behandlungsoptionen mit schnell und nur relativ kurz (~ 60 min) wirksamem Fentanyl können bereits nach grob 10 min ihre volle Wirkung entfalten und so entscheidend schneller eine Durchbruchschmerz-Attacke bekämpfen. Neue Applikationsformen trans-mukosaler Art (nasal, sublingual, bukkal) wirken schneller (Anflutungszeit 7–13 min) als beispielsweise orales Morphin.

Es muss klar zwischen Durchbruchschmerz neuro-pathischer Genese und anderen körperlich bedingten Durchbruchschmerzen unterschieden werden. Da neu-ropathische Ursachen oft zu nur wenige Sekunden bis Minuten anhaltenden Attacken führen, ist eine reaktive Therapie auch mit sehr schnell wirkenden Substanzen wie transmukosalem Fentanyl in der Regel nicht sinnvoll. In solchen Fällen bedarf es eher präventiver Maßnahmen.

Der Vorteil einer schnelleren Wirkung von transmukosalem Fentanyl kann jedoch auch völlig ungenutzt bleiben, wenn es zu spät appliziert wird. Daher sollten kognitiv nicht eingeschränkte Patienten ihre Durchbruchschmerzmedikation künftig in der Nachttischschublade unmittelbar zur Verfügung haben. Dann stellt transmukosales Fentanyl eine sinnvolle Therapieoption gegen den Durchbruchschmerz dar.