Gesundheitswesen 2011; 73(5): 271-272
DOI: 10.1055/s-0031-1277190
Gasteditorial

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Offenlegen und dann? Wir brauchen eine rationale Diskussion zu einem angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten

D. Strech, K. Koch, D. Klemperer
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Publication Date:
18 May 2011 (online)

Daniel Strech

Klaus Koch

David Klemperer

Interessenkonflikte sind ein ständiger Begleiter in der medizinischen Forschung, Versorgung, Fortbildung und Leitlinienentwicklung. Im Vordergrund stehen finanzielle Verbindungen zur Industrie, aber auch die Karriereplanung oder die Anreize eines Vergütungssystems können wirksame Interessenkonflikte darstellen. Solche Situationen können – müssen aber nicht – das Urteil und Handeln von Experten unangemessen beeinflussen. Das Thema Interessenkonflikte und ihre mögliche Regulierung findet in Deutschland zunehmend Aufmerksamkeit. Zum einen scheint die professionelle und öffentliche Sensibilität in den letzten Jahren deutlich gestiegen zu sein, zum anderen zwingen auch internationale Entwicklungen im Umgang mit Interessenkonflikten – insbesondere in den USA – zu einer verstärkten Beschäftigung mit den Thema hierzulande.

International besteht seit den 1990er Jahren der Trend, Interessenkonflikt-Regulierungen zu erarbeiten und zu implementieren. Die meisten der 149 US-amerikanischen Medical Schools wie auch die großen öffentlichen Forschungsförderer in den USA (National Institutes of Health und National Science Foundation) verfügen über online für jedermann einsehbare „Conflict of Interest Policies” [1]. Medizinstudierende u. a. lesen diese Policies und beschweren sich auch schon mal bei der New York Times, wenn sie in der Praxis nicht so wie im Internet angekündigt umgesetzt werden [2]. Bei den deutschsprachigen medizinischen Fakultäten oder Forschungsförderern finden sich online einsehbare „Interessenkonflikt-Regulierungen” bislang nicht [3]. Die international renommierte Fachgesellschaft American College of Chest Physicians (ACCP) hat jüngst für die 9. Version ihrer Antithrombotischen Leitlinie ein neues Konzept zum Umgang mit Interessenkonflikten etabliert [4], welches absehbar auch in Deutschland diskutiert werden wird. Der grundlegende Unterschied zu den 8 Vorgängerversionen besteht darin, dass Methodenexperten ohne finanziellen oder intellektuellen Interessenkonflikt die Hauptverantwortung für die einzelnen Kapitel der Leitlinie hatten [5]. Klinische Experten des Fachgebiets, die in der Regel Interessenkonflikte aufwiesen, waren an der Aufbereitung und Interpretation der Evidenz beteiligt. Je nach Gewicht des Interessenkonflikts waren sie von den Abstimmungen ausgeschlossen, welche die Richtung und die Stärke der Empfehlungen der Leitlinie bestimmen. Soweit gehen die Anforderungen der AWMF an deutsche S3-Leitlinien oder die Vorgaben für Nationale Versorgungsleitlinien bislang nicht. Aber auch die AWMF hat im April 2010 neue Empfehlungen zur Interessenkonflikt-Regulierung publiziert [6].

Wenngleich im US-amerikanischen Raum bislang das Thema Interessenkonflikt-Regulierung deutlich intensiver als im deutschsprachigen Raum diskutiert wird und bereits Praxisempfehlungen implementiert wurden [7], fehlen auch dort weiterhin substantielle Erfahrungen und klare Konzepte für die Evaluation der erwünschten wie der unerwünschten Wirkungen von Interessenkonflikt-Regulierungen [8].

Entsprechende Evaluationen benötigen eine allgemein verständliche und Praxis-relevante Definition von Interessenkonflikten. Erst wenn sich eine konsensfähige Definition durchgesetzt hat, wird eine rationale und effektive Diskussion über geeignete Methoden der Interessenkonflikt-Regulierung und deren Evaluation möglich sein. Während Interessenkonflikte bislang oftmals als Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit, teilweise sogar als Unterstellung von Käuflichkeit und Korruption verstanden wurden [9] [10], setzt sich international eine nüchternere Betrachtung durch: Interessenkonflikte werden als Risiko für Verzerrungen (Bias) betrachtet. Ein Interessenkonflikt besteht, wenn z. B. finanzielle Beziehungen bestehen, von denen allgemein bekannt ist, dass sie die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen können – der Nachweise der Beeinflussung ist nicht erforderlich [11] [12]. Erst eine solche Definition von Interessenkonflikten als „Risikofaktor” (nicht als Nachweis) für Verzerrungen erlaubt die Entwicklung von präventiven und Vertrauen stiftenden Methoden und Regularien zum Umgang mit Interessenkonflikten [6] [7].

Neuere Gesetze in den USA wie der „Physician Payment Sunshine Act” von 2010 etablieren eine sehr weitgehende Transparenz von Geldzahlungen und anderen Transfers zwischen der pharmazeutischen Industrie und Ärzten bzw. Forschern [13]. Ab 2013 wird das US-Gesundheitsministerium (Health and Human Subject Department) alle Informationen in eine öffentliche und recherchierbare Datenbank geben, die den Namen des Arztes, seine Adresse und die Höhe der erhaltenen (Geld-) Leistungen offenlegt. Einige Firmen, u. a. Eli Lilly, Merck, GlaxoSmithKline und Pfizer, haben bereits begonnen, ihre Zahlungen an Ärzte für 2010 öffentlich zu machen[1]. Gerade vor dem Hintergrund der spätestens ab 2013, z. T. aber bereits heute verfügbaren Informationen (zumindest in den USA), ist zu erwarten, dass sich ein erhebliches öffentliches Interesse am Umgang medizinischer Institutionen mit finanziellen Interessenkonflikten einstellt.

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) hat 2010 eine „Arbeitsgruppe Interessenkonfliktregulierung” eingerichtet. (die 3 Autoren dieses Beitrags sind Mitglieder dieser Arbeitsgruppe[2]). Ein erstes Produkt dieser AG ist das im März 2011 veröffentlichte Diskussionspapier „Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen” [14]. Es geht in diesem Diskussionspapier explizit nicht darum, konkrete Vorschläge zu machen, wie Interessenkonflikte allgemein geregelt werden sollten. Das Ziel der DNEbM-AG und des Diskussionspapiers ist es, die internationalen Entwicklungen zu sichten und die Grundlage für eine kritische und zugleich an der Praxis orientierte Diskussion im deutschen Gesundheitswesen zu erarbeiten. Dem DNEbM erscheint eine kritische Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen für eine Evidenz-basierte Interessenkonflikt-Regulierung wichtig.

Die Evaluation von Interessenkonflikt-Regulierungen wird auf 3 Ebenen stattfinden: Auf einer ersten Ebene lassen sich die Inhalte von öffentlich einsehbaren Interessenkonflikt-Regulierungen analysieren und bewerten – siehe z. B. die (nicht unkontroverse) Bewertung der „conflict of interest policies” aller US Medical Schools unter www.amsascorecard.org/executive-summary. In einem 2009 publizierten Report des US-amerikanischen Institute of Medicine (IOM) wurden weitere allgemeine Kriterien zur Evaluation der Inhalte von Interessenkonflikt-Regulierungen vorgestellt [7]. Auf einer zweiten Ebene wird zu überprüfen sein, inwieweit die Inhalte/Vorgaben in Interessenkonflikt-Regulierungen in der Praxis umgesetzt werden. Eine besondere Herausforderung besteht in der Evaluation der Angemessenheit einer Einzelfall- bzw. Personen-bezogenen Umsetzung der jeweiligen Interessenkonflikt-Regulierung. Diejenigen Kommissionen bzw. Gremien, welche für die Umsetzung der Interessenkonflikt-Regulierung einer bestimmten Institution zuständig sind, haben notgedrungen einen Interpretationsspielraum bei der Frage, ob die offengelegten Interessenkonflikte entweder unbedenklich sind und deshalb folgenlos bleiben können oder ob sie ein relevantes Risiko für die unangemessene Beeinflussung professioneller Urteile darstellen. In letzterem Fall, müssen die entsprechenden Kommissionen entscheiden, ob eine bestimmte Amts- oder Funktionsausübung der betroffenen Person entweder unterbunden werden muss oder (soweit in der Interessenkonflikt-Regulierung vorgesehen) ob andere flankierende Maßnahmen wie z. B. besondere Prüfung der Funktionsausübung ausreichend sind. Schließlich wäre auf einer dritten Ebene zu untersuchen, was die erwünschten und unerwünschten Effekte von Interessenkonflikt-Regulierungen sind [15]. Diesen „Wirksamkeitsstudien” muss eine Diskussion über praxisrelevante Endpunkte vorgeschaltet werden. Im Rahmen der Leitlinienentwicklung könnte z. B. untersucht werden, inwieweit die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit an der Leitlinienentwicklung durch die jeweiligen Formen der Interessenkonflikt-Regulierung positiv oder negativ beeinflusst wird. Ebenfalls ließe sich untersuchen, inwieweit die Empfehlungen in Leitlinien durch mehr oder weniger strikte Interessenkonflikt-Regulierungen beeinflusst werden.

Das DNEbM lädt interessierte Personen und Institutionen ein, sich an einer Diskussion um die Regulierung von Interessenkonflikten zu beteiligen. Für weitere Informationen siehe www.ebm-netzwerk.de/aktuelles/news2011-03-16-1

Literatur

  • 1 American Medical Student Association . AMSA PharmFree Scorecard 2009. 2009;  Available from: http://www.amsascorecard.org
  • 2 Wilson D. 2009;  Harvard Medical School in Ethics Quandary. The New York Times (March 3): B1.
  • 3 Strech D. Regulierung von Interessenkonflikten. Eine vergleichende Status quo Analyse im nordamerikanischen und deutschsprachigen Raum, in 11. Jahrestagung Deutsches Netzwerk Evidenz-basierte Medizin (DNEbM), http://www.forummedizin21.at 2010;  Salzburg
  • 4 Guyatt G, Akl EA, Hirsh J. et al . The vexing problem of guidelines and conflict of interest: a potential solution.  Annals of internal medicine. 2010;  152 (11) 738-741
  • 5 Hirsh J, Guyatt G. Clinical experts or methodologists to write clinical guidelines?.  Lancet. 2009;  374 (9686) 273-275
  • 6 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften . Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften (vom 23.4.2010), ad-hoc-Kommission der AWMF, Editor 2010;  Berlin
  • 7 Institute of Medicine .Conflicts of Interest in Medical Research, Education, and Practice.. 2009. Washington D.C.: National Academies Press;
  • 8 Strech D, Knüppel H. How to evaluate conflict of interest policies.  Am J Bioeth. 2011;  11 (1) 37-39
  • 9 Weber MA. Academic physicians confront a hostile world: the creation of ACRE.  J Clin Hypertens (Greenwich). 2009;  11 (10) 533-536
  • 10 Stossel TP. Regulating academic-industrial research relationships – solving problems or stifling progress?.  N Engl J Med. 2005;  353 (10) 1060-1065
  • 11 Thompson DF. Understanding financial conflicts of interest.  N Engl J Med. 1993;  329 (8) 573-576
  • 12 Thompson DF. The challenge of conflict of interest in medicine.  Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2009;  103 (3) 136-140
  • 13 Woodward C. New US law applies ‘sunshine’ to physician payments and gifts from drug, device industries.  CMAJ. 2010;  182 (10) E467-E468
  • 14 Strech D, Klemperer D, Knüppel H. et al . Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen.  Ein Diskussionspapier. 2011;  Berlin, http://www.ebm-netzwerk.de/aktuelles/news2011-03-16-1 Deutsches Netzwerk Evidenz-basierte Medizin (DNEbM)
  • 15 Weinfurt KP, Hall MA, Friedman JY. et al . Effects of disclosing financial interests on participation in medical research: a randomized vignette trial.  Am Heart J. 2008;  156 (4) 689-697

1 siehe z. B. www.pfizer.com/responsibility/working_with_hcp/payments_report.jsp

2 Weitere AG-Mitarbeiter und Koautoren des DNEbM-Diskussionspapiers sind Ina Kopp (AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Philipps-Universität Marburg), Gabriele Meyer (Universität Witten/Herdecke) und Hannes Knüppel (Medizinische Hochschule Hannover).

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. D. Klemperer

Hochschule Regensburg

Seybothstraße

93053 Regensburg

Email: david.klemperer@hs-regensburg.de

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