Gesundheitswesen 2010; 72 - P27
DOI: 10.1055/s-0030-1266535

Ungleiche Gesundheitschancen durch Fehlinformationen – Diskrepanz der Auskünfte Gesetzlicher Krankenversicherungen bezüglich der Zuzahlungsfreiheit zahnärztlicher Vorsorgeuntersuchungen im Vergleich zur rechtlichen Regelung

U Zier 1, H Rüger 1, L Escobar Pinzón 1, S Letzel 1, E Münster 1
  • 1Instut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizn der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Mainz

Hintergrund: Im Rahmen einer allgemeinen Recherche zu Vorsorgeleistungen im deutschen Gesundheitssystem wurden fehlerhafte Informationen von Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) offenbar. Fehlinformationen können zur verminderten Realisierung von Gesundheitschancen führen. Daher wurden GKVen systematisch hinsichtlich ihrer Auskunftserteilung zur Zuzahlungsregelung bei der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung für Erwachsene untersucht. Diese Vorsorgeuntersuchung ist laut §8a Absatz3 Bundesmantelvertrag – Zahnärzte bzw. §13 Absatz3 Ersatzkassenvertrag – Zahnärzte ein Mal im Kalenderhalbjahr von Zuzahlungen nach §28 Absatz4 Sozialgesetzbuch 5 befreit, wenn zwischen den Vorsorgeuntersuchungen jeweils vier Monate liegen. Methoden: Die Stichprobe umfasst 20 GKVen, die für Pflichtversicherte in Rheinland-Pfalz sowie für alle Berufsgruppen geöffnet sind. Um ein repräsentatives Bild für die Mehrzahl der Versicherten zu erhalten, wurden die 15 mitgliederstärksten GKVen ausgewählt. Um mögliche institutionell-strukturelle Unterschiede berücksichtigen zu können, wurden zusätzlich die fünf mitgliederschwächsten GKVen einbezogen. Bei den ausgewählten GKVen wurde das auf der jeweiligen Internetseite angegebene Servicetelefon kontaktiert und eine alltägliche Beratungssituation simuliert. Dabei wurde nach der jährlichen Anzahl der für Versicherte zuzahlungsbefreiten zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen gefragt. Ergebnisse: Insgesamt wurden 20 Servicestellen erreicht. In zwölf Fällen (60%) wurde zunächst die fehlerhafte Auskunft erteilt, wonach für Erwachsene lediglich eine Vorsorgeuntersuchung pro Kalenderjahr zuzahlungsbefreit ist. In einem Fall wurde die Auskunft verweigert. Lediglich sieben Servicestellen gaben auf Anhieb fehlerfreie Auskünfte. Diskussion: Am Beispiel der vertraglich eindeutig geregelten Zuzahlungsbefreiung bei der halbjährlichen zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung wurde deutlich, dass systematisch fehlerhafte Informationen an Versicherte weitergegeben werden. Für Versicherte entstehen durch fehlerhafte Auskünfte der GKVen Barrieren, die die Teilnahme an Präventionsmaßnahmen erschweren, und das Risiko für gesundheitliche Ungleichheit erhöhen. Es ist zu vermuten, dass die Verbreitung von Fehlinformationen nicht nur auf den Bereich der Zahnvorsorge beschränkt ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass andere Regelungen wesentlich komplexer und zum Teil strittig sind, ist davon auszugehen, dass die gesundheitsbezogene Chancengleichheit von gesetzlich Versicherten durch ein generelles Systemproblem gemindert wird.