Psychother Psychosom Med Psychol 2011; 61(3/04): 125
DOI: 10.1055/s-0030-1266077
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trotz allem: Liebe – trotz allem: Familie

In Spite of Everything: Love – In Spite of Everything: FamilyVerena  Kast, Manfred  Cierpka
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Publication Date:
29 March 2011 (online)

Prof. Dr. phil. Verena Kast

Während der Lindauer Psychotherapiewochen vom 17.–29. April 2011 wird über das Thema von Liebe und Familie – natürlich auch in therapeutischen Kontexten – reflektiert werden.

Warum „trotz allem”?

Die meisten Menschen ersehnen eine sie erfüllende Liebesbeziehung, und wir wissen, nicht nur aus der therapeutischen Praxis, dass diese Liebesbeziehungen vielfältig bedroht sind, dass es zur Lebenskunst gehört, eine Liebesbeziehung durch ihren Wandel in der Zeit (?)zufrieden stellend zu gestalten. Auf die Liebe projizieren Menschen seit alten Zeiten immer wieder neu Erwartungen von Glück, von Sinnerfahrung, von Erlösung aus der existenziellen Einsamkeit, bis ins hohe Alter. Wenn hohe Erwartungen vorhanden sind, dann sind auch die Enttäuschungen nicht weit: Anlässe dazu liegen im Wesen der Liebe selbst, nicht nur in den Liebenden. Wenn wir lieben, wollen wir Nähe, Zuwendung, Geborgenheit – einen Schutz gegen die Welt, die wir nicht immer verstehen, die uns ängstigt. Sobald wir aber viel Nähe zulassen, fürchten wir uns vor der Abhängigkeit, fürchten um unsere Freiheit, fürchten aber auch jede Form von Verlust, im Sinne von Kritik, von Ablehnung, von Trennung, von Tod.

Wird aus Liebe die Suche nach Geborgenheit, dann ist die Leidenschaft gefährdet: Leidenschaft braucht Distanz, braucht Fremdheit, einen Spannungsbogen. Sind wir gewohnt, Widersprüche in der Liebe auszuhalten? Und was ist mit den Bildern von Paarbeziehungen, die uns vorschweben, den Idealen, die wir verwirklichen möchten, aber auch mit den Bildern, die wir ablehnen?

Trotz allem: die Liebe wird gesucht.

Diesen Themen wollen wir uns in dieser Woche zuwenden und uns darüber austauschen, wie diesen „alten” Sehnsüchten und den damit verbundnen „alten” Widersprüchen sowohl mit bewährten als auch mit neuen Konzepten zur Paartherapie, zum Thema von Verbundenheit und Trennung begegnet werden kann.

Ebenso alt wie die Sehnsucht nach Liebe und eine mögliche Fortsetzung davon, ist die Sehnsucht nach einer Familie. 93 % der jüngeren Erwachsenen geben an, dass sie gerne eine Familie gründen wollen. Aber lässt sich diese Sehnsucht auch realisieren? Wie lässt sie sich realisieren? Scheidungsziffern, Fortsetzungsfamilien usw. zeigen, wie schwierig es in der heutigen Zeit ist, diesen angestrebten Hort der Sicherheit und Privatheit zu gestalten. Die Sehnsucht danach ist verständlich: wird die Lebenswirklichkeit unberechenbar, unstabil und kalt, bekommt die Familie einen höheren Stellenwert. Nicht nur die soziale Wirklichkeit spielt dabei eine wichtige Rolle, das tun auch die inneren Bilder, die wir von der Familie haben: solche, die geprägt sind von der Herkunftsfamilie, und solche, die wir dagegen setzen wollen.

Das Familienleben ist ein Ort der komplexen Interaktionen und Einflüsse: auch hier gibt es eine große Spannung zwischen Wunsch und Realität. Und trotzdem: Menschen versuchen auf ihre Weise auch heute eine Art der Familie zu gestalten. Um notwendige Veränderungen der Beziehungen in Familien zu bewirken, gibt es unterdessen viele psychotherapeutische Techniken; besonders bewährt hat sich in diesem Zusammenhang die systemische Paar – und Familientherapie. Es sollen sowohl die heutige Bedeutung der Familie, als auch die gewachsenen therapeutischen Interventionstechniken im Zusammenhang mit Familienproblemen vorgestellt und diskutiert werden.

Prof. Dr. phil. Verena Kast

Hompelistraße 22

9008 St. Gallen, Schweiz

Email: kast@swissonline.ch

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