Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(11): 308-315
DOI: 10.1055/s-2007-1024146
Originalien

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das öffentliche Meinungsbild zur aktiven Sterbehilfe: Ergebnisse eines Pilotprojekts

Public opinion on active euthanasia: results of a pilot studyA. Helou, A. Wende, T. Hecke, S. Rohrmann, K. Buser, M.-L. Dierks
  • Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (Direktor: Prof. Dr. F. W. Schwartz) der Medizinischen Hochschule Hannover
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Publication Date:
25 March 2008 (online)

Zusammenfassung:

Grundproblematik und Fragestellung: Trotz des lebhaften öffentliches Interesses liegen bislang nur wenige aussagekräftige Studien zu der Einstellung der deutschen Bevölkerung zur aktiven Sterbehilfe vor. Vor der Durchführung von Repräsentativerhebungen zu diesem umstrittenen und ethisch sensiblen Thema sollte allerdings überprüft werden, inwiefern die öffentliche Meinung und die zugrunde liegenden Normen, Werte und Präferenzen durch eine standardisierte Datenerhebung adäquat erfaßbar sind.

Probanden und Methodik: Eine interdisziplinäre Projektgruppe konzipierte auf der Basis qualitativer Interviews (n = 10) und Gruppendiskussionen ein standardisiertes schriftliches Erhebungsinstrument zur Erfassung des öffentlichen Meinungsbildes zur aktiven Sterbehilfe, das an einer anonymisierten Konvenienzstichprobe (n = 110) aus dem norddeutschen Raum getestet wurde. Der Fragebogen enthielt zehn hypothetische Fallbeispiele, 11 potentiell relevante Entscheidungsgesichtspunkte und acht häufig geäußerte Pro- und Contra-Argumente der Sterbehilfe-Debatte.

Ergebnisse: Der Rücklauf der Fragebogen betrug 89,1 % (n = 98, 37 Männer und 59 Frauen, Durchschnittsalter 39,5 [21-81] Jahre). Die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe in den einzelnen Fallbeispielen variierte je nach situativem Kontext zwischen 8 % bis 93 %. Aktive Sterbehilfe wurde von einer deutlichen Mehrheit dann akzeptiert, wenn die Voraussetzungen der freiwilligen Entscheidung eines geistig klaren Menschen und der unheilbaren, terminalen (Krebs-)Erkrankung kumulativ erfüllt waren, ansonsten wurde sie größtenteils abgelehnt. Für eine deutliche Mehrheit der Befragten beinhaltete aktive Sterbehilfe einerseits die Chance der Leidensverkürzung, andererseits aber auch die Gefahr des Mißbrauchs. Befragte mit beruflicher Erfahrung im Hinblick auf Sterbehilfe waren gegenüber der aktiven Sterbehilfe offensichtlich skeptischer eingestellt als Personen ohne berufliche Erfahrung.

Folgerungen: Das verwendete Instrument der standardisierten schriftlichen Befragung erlaubt eine differenzierte Erfassung des öffentlichen Meinungsbildes zur aktiven Sterbehilfe. Die Ergebnisse stellen allerdings nur eine Momentaufnahme des dynamischen gesellschaftlichen Normenbildungsprozesses dar und dürfen keinesfalls als plebiszitäre Legitimation von aktiver Sterbehilfe instrumentalisiert werden.

Abstract:

Background and objective: Despite eager public interest there have been few significant studies about the views of the German population on active euthanisia. It was our purpose to investigate, before undertaking a representative enquiry about this controversial and ethically sensitive topic, to what extent public opinion and the underlying norms, values and preferences can be adequately obtained by standardized data collection.

Cohort and methods: An interdisciplinary project group established a standardized written form of enquiry for measuring public opinion about active euthanasia. The test was performed on an anonymized random sample of 110 persons living in North Germany. The questionnaires consisted of ten hypothetical cases, 11 potentially relevant viewpoints on likely decisions and eight frequently expressed arguments used in the debate for and against euthanasia.

Results: The reply rate to the questionnaire was 89 % (n = 98; 37 men and 59 women, average age 39.5 [21-81] years). Agreement with active euthanasia in the various case examples ranged, according to context, from 85 to 93 %. Active euthanasia was accepted by a clear majority, if preconditions of a voluntary decision by a mentally sound person and incurable, terminal disease (cancer) are cumulatively fulfilled. Otherwise it was rejected by most respondents. To a clear majority, active euthanasia implied both the chance that suffering would be shortened, but also the danger of misuse. Among the persons questioned those with Professional experience of euthanasia were clearly more sceptical about active euthanasia than those without such experience.

Conclusions: The standardized written questionnaire made it possible to obtain a differentiated picture of public opinion on active euthanasia. However, these data represent only a moment in the dynamic process of a norm being established within a society and must on no account be used as legitimizing active euthanasia by plebiscite.

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