Zusammenfassung
Der Beitrag prüft die empirische Brauchbarkeit des zwischen Ungleichheitsund Armutsforschung vermittelnden Exklusionsbegriffs. Dazu wird die Unterscheidung zwischen einer „objektiven”, auf eine prekäre Lebenslage zurückgehende Exklusionskonstellation und einem „subjektiven”, den Einzelnen entbettenden Exklusionsempfinden gemacht. Als Dimensionen stressender Prekarität werden die Haushaltsökonomie, die Erwerbssituation, die soziale Vernetzung, das Institutionenvertrauen und das psychophysische Wohlbefinden bestimmt; das Empfinden von Exklusion wird auf die Zugehörigkeit zum gesellschaftlichen Ganzen bezogen. So erhält das Exklusionsempfinden die Bedeutung einer ausschlaggebenden Bedingung, die einzelne Exklusionserfahrungen zu einem die ganze Person erfassenden Exklusionssyndrom zusammenfügt und zuspitzt. Vor diesem konzeptionellen Hintergrund wird über die Ergebnisse einer 2003 durchgeführten bundesweiten Telefonbefragung berichtet. Wie der Einzelne sich zum gedachten Ganzen der Gesellschaft verhält, ist nicht einfach Ausdruck seiner sozialen Lage. In Abkehr von allen impliziten Widerspiegelungstheorien wird das Gesamt von externen Ressourcen, stressenden Konstellationen und internen Ressourcen zur Erklärung des Exklusionsempfindens herangezogen. So kann eine begrifflich klare und empirisch stichhalte Unterscheidung zwischen benachteiligender Marginalitätsposition und gefährdender Exklusionsauffassung gezogen werden.
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Die Untersuchung, von der hier berichtet wird, ist vom Hamburger Institut für Sozialforschung im Rahmen einer Kooperation mit der Universität Kassel gefördert worden. Die Autoren danken Oliver Callies für seine Mitarbeit.
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Bude, H., Lantermann, ED. Soziale exklusion und exklusionsempfinden. Koelner Z.Soziol.u.Soz.Psychol 58, 233–252 (2006). https://doi.org/10.1007/s11575-006-0054-1
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