Die PREFERE-Studie ist gescheitert! Eine Reihe von klugen Kommentaren und Bemerkungen hinterfragte bereits mehrfach methodisch wissenschaftliche Gesichtspunkte, der psychologisch-philosophische Aspekt blieb hingegen bislang unberücksichtigt. Warum wurde diese maximal beworbene und großzügig finanzierte Studie sowohl von Patienten als auch Behandlern (uns Urologen!) nicht akzeptiert? Den Fehler alleine in der Methodik und der primär fragwürdigen Intention (wir erinnern uns: „Wunsch der Kostenträger nach Prüfung der Brachytherapie als Therapiemethode zur Behandlung des Low-risk-Prostatakarzinoms“) zu suchen, greift unserer Meinung nach zu kurz. Auch die Anmerkung der Studienzentrale in der Presseinformation vom 05.12.2016, dass die erfolgte Veröffentlichung der ProtecT-Studie eine grundlegende Änderung des Studiendesigns von PREFERE hätte notwendig machen müssen, wirkt hilflos.

Offenbar ist auch und gerade in der Medizin der Faktor Mensch mit seiner entsprechenden emotionalen Befindlichkeit ein wichtiger Maßstab für die Akzeptanz von Methoden in Klinik und Wissenschaft. Hier dürfen durchaus Vergleiche zu der aktuellen „Populismus-Diskussion“ in Europa gezogen werden. Wir versuchen in den letzten 15 Jahren eine komplexe Welt mit immer komplexeren Regelungen zu ordnen, die jedoch nicht unserem menschlichen Denken entsprechen. Diese „Regelungen“ heißen in der Medizin Leitlinien, Richtlinien, Interdisziplinarität, Randomisierung etc. Ähnlich wie in der großen Politik kommt dann schnell das Gefühl der Fremdbestimmung oder aber Gleichgültigkeit auf, welches schließlich zu Überforderung und Ablehnung führt. PREFERE scheint hier ein Paradebeispiel zu sein. Wir müssen lernen, dass gerade die medizinische Wissenschaft (und klinische Studien im Besonderen) nicht frei sind von einer menschlich bedingten linearen „einfachen Denkweise“ in einer Welt, die vor Komplexität nur so strotzt. Wir müssen akzeptieren, dass immer differenziertere Studiendesigns (4-armig, randomisiert, über mehr als 10 Jahre laufend etc.) zwar eine komplexe Fragestellung mehr oder weniger gut beantworten könn(t)en, dies aber nichts mit der tatsächlichen Versorgungsrealität und unserer wohl menschlichen Sehnsucht nach einfachen linearen Lösungen und Strategien zu tun hat.

Unsere Therapie gemeinsam mit dem Patienten in einem Bündnis individuell zu erarbeiten und zu begleiten, verlernen wir durch mittlerweile fast 300 Leitlinien und die ökonomisch getriggerte „Qualitätszentritis“ der Medizin. Das Scheitern von PREFERE sollte uns vielmehr lehren, den Blick auf unsere Arzt-Patienten-Interaktion zu richten. Klaus Kornwachs formulierte im Jahr 2000 „Das Prinzip der Bedingungserhaltung“ für dessen Entwicklung er folgenden Imperativ zugrunde legte:

Handle im Gemeinwesen so, daß Du und alle Betroffenen Entfremdung, Enteignung, Entwürdigung, Entmündigung nicht erfahren und erleiden müssen [1].

Dieser Imperativ verfolgt primär eine Priorität der Schadensvermeidung, indem u. a. sichergestellt sein soll, dass keiner unserer Gesellschaft seiner Mündigkeit beraubt und fremdbestimmt wird. Dieser Grundsatz scheint auch für die Autoren der PREFERE-Studie von hoher Wichtigkeit gewesen zu sein. Patienten sollten (ohne manipulativen Einfluss von außen gut informiert) selbst entscheiden, welchen Therapiearm sie für sich bevorzugen und wählen. Die maximale Autonomie des Patienten sollte sichergestellt sein.

Bei PREFERE wurde diese Autonomie jedoch als Nicht-Interaktion interpretiert. „Handle so, daß die Bedingungen der Möglichkeit des verantwortlichen Handelns für alle Beteiligten erhalten bleiben“ [1] kann nicht mit Nicht-Handeln und Untätig-Sein gleichgesetzt werden. Die individuelle Beratung des Patienten als interaktive Komponente im Rahmen einer Sorge um den Kranken ist elementare ärztliche Tätigkeit, ein Sich-Kümmern unsere vorrangigste Aufgabe. Martin Heidegger bezeichnete diese Sorge sogar als die Eigentlichkeit unseres Daseins. „Sorge ist von der Existenz her der Grund des In-der-Welt-Sein; dort zeigt sie sich als Fürsorge für anderes Dasein …“ [2] Kommen wir dieser Aufgabe nicht nach, vernachlässigen wir unser Dasein, was heißen soll, die menschliche Komponente.

Mit dem Ziel, eine perfekte Studie zu konzipieren, wurde der Aspekt „Mensch“ vernachlässigt, da nicht-planbar, individuell und beeinflussbar. Doch gerade hieran scheitert ein solch großes Projekt: Patienten fühlen sich mit ihren Ängsten bei einer weitreichenden Entscheidung allein gelassen und Kollegen sträuben sich, ihr Verständnis von ärztlicher Tätigkeit zu vernachlässigen. Wir sind sicherlich weit entfernt von einer antiken, traditionell-paternalistischen medizinischen Ethik, die Führung eines Patienten kann und darf jedoch auch im Rahmen eines modernen ärztlichen Ethos, welches der Patientenautonomie höchsten Stellenwert einräumt, nicht vernachlässigt werden – auch nicht für das hehre Ziel, eine perfekte Studie konzipieren zu wollen.