Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mit freiheitsentziehenden Maßnahmen
Eine rechtstatsächliche Untersuchung zur familiengerichtlichen Genehmigung der Unterbringung bei Minderjährigen in der Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Justiz nach § 1631b BGB
Abstract
Zusammenfassung. Sowohl in der Kinder- und Jugendpsychiatrie als auch in der Jugendhilfe können Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen durch gesetzliche Vertreter freiheitsentziehend untergebracht werden. Dies bedarf der familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1631b BGB. Genauere repräsentative Untersuchungen zu Anzahl, Gründen und zu den Charakteristika der untergebrachten Minderjährigen sind rar. Ziel der Arbeit war es, eine genauere Analyse in einem Amtsgerichtsbezirk durch eine Vollerhebung aller Verfahren nach § 1631b BGB über mehrere Jahre hinsichtlich soziodemografischer Charakteristika und der Unterbringungsgründe sowie der inhaltlichen Aspekte des Verfahrens, wie Beteiligung der Minderjährigen und der Eltern, durchzuführen. Von 474 Verfahren in den Jahren 2008 bis 2011 blieben nach Bereinigung um Verfahren z. B. zu Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII, 376 Verfahren übrig. Von diesen Verfahren wiederum erledigten sich 249 aufgrund z. B. Abweisung oder Rücknahme bzw. Aufhebung des Beschlusses. Die meisten der verbleibenden 127 Verfahren betrafen Mädchen (n = 68), die zum Verfahrenszeitpunkt etwas jünger waren als die Jungen (14.5 Jahre vs. 15.1 Jahre). Zwei Drittel der Verfahren betrafen deutsche Staatsangehörige. In der Mehrzahl der Verfahren lebten die Jugendlichen zum Zeitpunkt des Verfahrens im familiären Kontext, bei 15 % aller Verfahren lebten die Jugendlichen aber auf der Straße. Die meisten Unterbringungen fanden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie statt, die häufigsten Unterbringungsgründe waren Substanzmissbrauch, Suizidalität und Weglaufen von zu Hause/Auf-der-Straße-Leben.
Abstract. According to German law (Para. 1631b German Civil Code), the placement of children and adolescents following seclusion and restraint actions must be approved by a family court. We analyzed the family court data of a court district in Berlin (Tempelhof-Kreuzberg) concerning cases of “placement of minors” between 2008 and 2011. A total of 474 such procedures were discovered. After data clearing and correction of cases (e. g., because of emergency interventions of the youth welfare system taking children into custody according to Para. 42, German Civil Code VIII), 376 cases remained. Of these 376 procedures in the years 2008 to 2011, 127 cases concerned children and adolescents according to Para. 1631b German Civil Code, and 249 procedures were settled either by dismissal, withdrawal or by repealing the initial decision to place the child with restrain or seclusion by means of an interim order or by filing an appeal against the final decision. Of the 127 procedures, 68 concerned girls, who were on average slightly younger than boys (14.5 years vs. 15.1 years). In two thirds of the procedures, the children and adolescents were German citizens. The majority of youths involved were living at home at the time of the procedure, but in 15 % of the case the youths were homeless. Most of the adolescents were treated with restraint in child and adolescent psychiatry. The most frequently quoted reasons for seclusion were substance abuse, suicide risk and running away from home/being homeless.
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