Zusammenfassung
Die Situation wird weiter erschwert: Es gibt keinen Raum möglicher Umwege mehr, ebenso ungangbar wie die gerade Verbindungslinie zum Ziel sind alle sonst geometrisch denkbaren Kurven; und auch kein Anpassen der eigenen Körperform an Raumformen der Umgebung bringt das Tier mit dem Ziel zusammen. Soll diese Verbindung doch irgendwie hergestellt werden, so kann das nur durch die Einschaltung eines materiellen Zwischengliedes geschehen. So vorsichtig muß man sich, wie wir sehen werden, der Sache nach ausdrücken; erst wenn dies indirekte Verfahren mit Hilfe dritter Körper gewisse Formen annimmt, darf man im gewöhnlichen Sinn sagen: mittels eines Werkzeuges wird das Zielobjekt in Besitz genommen; es gibt eine Art, die Distanz zum Ziel durch dritte Körper in gewisser Weise zu überwinden, welcher dieser Satz nicht gerecht wird1).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Animal Intelligence. New York 1911, S. 48.
Es kommt hinzu, daß man auf dem ganzen Problemgebiet gut tut, bisweilen Schlagworte wie „Werkzeuggebrauch“, ebenso „Nachahmung“ u. dgl. durch andere Worte zu ersetzen, die möglichst genau dem Verhalten des Tieres entsprechen. Jene abgenutzten Worte haben den Nachteil, unter dem Anschein der Bekanntheit die wichtigsten Fragen zu verstecken; auf gute Fragen kommt man vielleicht eher, wenn man sich auch bei der Wahl der Ausdrücke nach Möglichkeit vom Verhalten des Tieres leiten läßt; manchmal ist das allerdings recht schwer, weil gut passende Worte einfach nicht vorhanden sind.
Seilversuche hat Hobhouse (Mind in Evolution, London 1901, S. 155ff.) an mehreren Tierformen angestellt, und auch sonst sind sie wohl gemacht worden. Auf das Werk des genannten Autors sei hier ganz allgemein verwiesen; noch einige der im folgenden beschriebenen Versuche finden sich auch bei ihm.
Der Schimpanse weint bekanntlich niemals Tränen.
Die Decke (vgl. oben) liegt im Schlafraum ebensoweit entfernt wie die Stöcke hinter dem Tier, und sie wird doch geholt; aber die offene Tür befindet sich dicht am Gitter seitlich im Vordergrund, so daß Tschego bei einer relativ geringen Blickwendung, die noch das Gitter (Zielregion) im Gesichtsfeld läßt, schon durch die Tür hindurch die Decke sieht; wendet sie dagegen das Gesicht den Stöcken zu, so verschwindet die Zielregion ganz. Übrigens ist die Decke durch täglichen Umgang des Tieres mit ihr sozusagen außer Konkurrenz mit anderen Gegenständen.
Das Tier darf den Stock nicht während der Verschiebung, d. h. in Bewegung, sehen; damit würde eine ganz neue Bedingung eingeführt. Koko entfernte ich ganz oder hielt ihm die Augen zu während der Veränderung; im ersteren Fall wurde er genau so wieder vor das Ziel gesetzt, wie er vorher davor gehockt hatte. Mit so jungen Tieren kann man einfach umgehen, Koko war an dergleichen durchaus gewöhnt.
Bis auf einige genau zu beschreibende Fälle ist der Beobachter für die Tiere nur dasjenige Wesen, welches die bequemsten Methoden (Umwege im gewöhnlichen Wortsinn) fortwährend verbietet. Er kann deshalb zugegen sein: die Schimpansen kümmern sich in der Regel nicht viel um ihn. Daß er sich vollkommen neutral verhält, soweit Hilfen nicht auch hier erwähnt werden, versteht sich von selbst.
Das ist kein „Anthropomorphismus“: Jeden Tag kann man sehen, daß ein Schimpanse, der in großer Höhe zum Sprung über weite Distanz ansetzt, vorher genau so wie hier mit dem Blick hinüber und herüber fährt; als Baumtier, das mitunter gewaltig springt, muß er ja so schätzen können; es wäre also ganz unangebrachte ängstlichkeit, wollte man jene Wendung beanstanden.
Es ist das nicht der Tisch, auf dem er tags zuvor ausgeruht hat (vgl. oben) und der wohl zu schwer und fest in der Ecke steht, als daß er Werkzeug werden könnte.
Das Ziel am Dach ist einer Wand nahe.
Tschego hatte Monate hindurch eine starke Neigung zu dem Tierchen; kam sie aus ihrem Raum zu den andern heraus, so war dann die Regel, daß Konsul entweder in der geschilderten Weise auf sie gestützt umherzog oder (später), daß er dem großen Tier auf den Rücken sprang und rittlings sitzend sich von ihm wie von einem Pferde tragen ließ. Ich weiß nicht, ob die Affenmütter vielleicht kleine Kinder häufig so tragen; dann wäre das „Hintereinandergehen“ wohl eine Art Überbleibsel hiervon. (Der Schimpansen säug1ing wird, wie wir jetzt wissen, vor dem Unterleib getragen. Vgl. von Allesch, Ber. d. Preuß. Ak. d. Wiss. 1921.) Außer Konsul habe ich nur Chica (selten) so „hinterhergehen“ sehen.
Da der Draht schwach war, so konnte man zu der Zeit, als das Obige geschrieben wurde, die Schimpansen oft im Zustande vollkommener Freiheit beobachten.
Es ist das erste Zimmer am Korridor, also gleich vor der offenstehenden Tür gelegen.
Diesen Ausdruck brauche ich wohl nicht besonders zu erläutern.
Ich kann das weiterhin nicht fortwährend wiederholen: jeder Hinweis, jede Hilfe, die in den Versuchen gegeben wurden, sind im Bericht erwähnt.
Ihre Art, die Kiste zu entfernen, ist wieder völlig verschieden von der des ersten Males; ich hebe das hervor, um Einwände von vornherein abzulehnen, die man bei Unkenntnis des Schimpansen machen könnte; was Chica z. B. in diesem Versuch macht, heißt: Kiste hier aus dem Weg vor dem Ziel! und nicht: Die und die Serie von Bewegungen!
Man sieht hier, daß solche Prüfungen überhaupt nur dann zuverlässige Resultate haben können, wenn der Beobachter über sehr viel Zeit und — Geduld verfügt; daß nach vergeblichem Warten durch Stunden doch noch die Lösung in einem glücklichen Moment auftritt, habe ich mehr als einmal erlebt.
Nur in Fällen, wo das Hindernis sich zufällig bewegt, wird dem Schimpansen die Lösung anscheinend leichter.
Daß mitunter das Ergebnis auch vollkommen zu unserer vorgängigen Erwartung stimmen kann, zeigt das Beispiel S. 28. Nur ist festzuhalten, daß jedesmal erst die Erfahrung im Versuch entscheidet.
Vgl. zu diesem Kapitel den Aufsatz „Zur Psychologie des Schimpansen“ (Psychologische Forschung I, 1921).
Additional information
Besonderer Hinweis
Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
Rights and permissions
Copyright information
© 1921 Julius Springer in Berlin
About this chapter
Cite this chapter
Köhler, W. (1921). Werkzeuggebrauch. In: Intelligenzprüfungen an Menschenaffen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-47574-0_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-47574-0_3
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-642-47216-9
Online ISBN: 978-3-642-47574-0
eBook Packages: Springer Book Archive