Zusammenfassung
Die wissenschaftliche Psychologie besitzt seit ihren institutionellen Anfängen im späten 19. Jahrhundert eine charakteristische Doppel- bzw. Mehrdeutigkeit: Sie gilt sowohl als Naturwie auch als Geisteswissenschaft (oder auch als Sozial- bzw. Kulturwissenschaft, wie es heutzutage häufig heißt). Von hierher haben sich mehrere gegenstandstheoretische und methodologische Stränge entwickelt, die zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten miteinander koexistierten und kooperierten oder sich wechselseitig bekämpften und zu verdrängen suchten. In der deutschen akademischen Psychologie ist die Situation bis in die 1960er Jahre noch von einer starken Fraktion „interpretativ“ ausgerichteter Vertreter/ innen gekennzeichnet; später dominierte – in Anlehnung an US-amerikanische Vorbilder – eine naturwissenschaftlich-experimentelle Ausrichtung. In der heutigen Landschaft der Psychologie sind interpretative bzw. „qualitative“ Methodologien an den Rand gedrängt: in Deutschland weitgehend ausgemerzt, in den USA randständig, aber zunehmend hörbar, in Großbritannien stärker etabliert – national bzw. regional also unterschiedlich ausgebaut. Vertreter/innen einer qualitativ-sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsauffassung haben sich in der Psychologie heute mit einem Mainstream von auf Gesetzeserkenntnis nach dem naturwissenschaftlichen Modell orientierter Methodologie auseinanderzusetzen und ihr gegenüber zu rechtfertigen. In einigen sozial- bzw. kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen verhält sich das durchaus anders: Ethnologie, Pädagogik, Kommunikationswissenschaft, Soziologie u.a. sind in dieser Hinsicht toleranter und pluralistischer aufgestellt, dort ist aktuell eine lebhafte Diskussion und Entwicklung qualitativer Forschungskonzepte und Methoden zu beobachten.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Weiterführende Literatur
Breuer, Franz (2005). Konstruktion des Forschungsobjekts durch methodischen Zugriff. In Günter Mey (Hrsg.), Handbuch Qualitative Entwicklungspsychologie (S.57–102). Köln: Kölner Studien Verlag.
Devereux, Georges (1984). Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Geertz, Clifford (1990). Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller. München: Hanser.
Strübing, Jörg & Schnettler, Bernt (Hrsg.) (2004). Methodologie interpretativer Sozialforschung. Klassische Grundlagentexte. Konstanz: UVK.
Literatur
Amann, Klaus & Hirschauer, Stefan (1997). Die Befremdung der eigenen Kultur. Ein Programm. In Stefan Hirschauer & Klaus Amann (Hrsg.), Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie (S.7–52). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Berg, Eberhard & Fuchs, Martin (Hrsg.) (1993). Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Breuer, Franz (1989). Die Relativität der Realität. Zur erkenntnis- und praxisbezogenen Produktivität differentieller Sehweisen der „Wirklichkeit“. In Irmtraud Beerlage & Eva-Maria Fehre (Hrsg.), Praxisforschung zwischen Intuition und Institution (S.57–69). Tübingen: DGVT.
Breuer, Franz (1991). Wissenschaftstheorie für Psychologen. Eine Einführung (5. Auflage). Münster: Aschendorff, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-9656.
Breuer, Franz (Hrsg.) (1996). Qualitative Psychologie. Grundlagen, Methoden und Anwendungen eines Forschungsstils. Opladen: Westdeutscher Verlag, http://www.qualitative-forschung.de/publishing/modelle/psychologie/index.php.
Breuer, Franz (1999). Probleme human- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnismethoden: Viel Verwirrung – einige Vorschläge. In Norbert Groeben (Hrsg.), Zur Programmatik einer sozialwissenschaftlichen Psychologie. Band I, Metatheoretische Perspektiven; 2. Halbband: Theoriehistorie, Praxisrelevanz, Interdisziplinarität, Methodenintegration (S.193–309). Münster: Aschendorff.
Breuer, Franz (2003). Subjekthaftigkeit der sozial-/wissenschaftlichen Erkenntnistätigkeit und ihre Reflexion: Epistemologische Fenster, methodische Umsetzungen. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), Art. 25, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302258.
Breuer, Franz (2005). Konstruktion des Forschungsobjekts durch methodischen Zugriff. In Günter Mey (Hrsg.), Handbuch Qualitative Entwicklungspsychologie (S.57–102). Köln: Kölner Studien Verlag.
Breuer, Franz (unter Mitarbeit von Barbara Dieris und Antje Lettau) (2009). Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Breuer, Franz; Mruck, Katja & Ratner, Carl (Hrsg.) (2000). Disziplinäre Orientierungen I: Qualitative Psychologie. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(2), http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/28.
Camic, Paul M.; Rhodes, Jean E. & Yardley, Lucy (Hrsg.) (2007). Qualitative research in psychology. Expanding perspectives in methodology and design. Washington, DC: APA.
Chang, Heenwon (2008). Autoethnography as method. Walnut Creek, CA: Left Coast Press.
Devereux, Georges (1984). Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Orig. 1967]
Ellis, Carolyn (2004). The ethnographic I. A methodological novel about autoethnography. Walnut Creek, CA: Altamira Press.
Fahrenberg, Jochen (2002). Psychologische Interpetation. Biographien – Texte – Tests. Bern: Huber.
Felt, Ulrike; Nowotny, Helga & Taschwer, Klaus (1995). Wissenschaftsforschung. Eine Einführung. Frankfurt/M.: Campus.
Finlay, Linda & Gough, Brendan (2003). Reflexivity. A practical guide for researchers in health and social sciences. Oxford: Blackwell.
Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (2000). Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick. In Uwe Flick, Ernst von Kardorff und Ines Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S.13–29). Reinbek: Rowohlt.
Geertz, Clifford (1990). Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller. München: Hanser.
Gergen, Kenneth (2002). Konstruierte Wirklichkeiten. Eine Hinführung zum sozialen Konstruktionismus. Stuttgart: Kohlhammer.
Groeben, Norbert (1986). Handeln, Tun, Verhalten als Einheiten einer verstehend-erklärenden Psychologie. Tübingen: Francke, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-10239.
Groeben, Norbert & Scheele, Brigitte (1977). Argumente für eine Psychologie des reflexiven Subjekts. Darmstadt: Steinkopff, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-10316.
Hirschauer, Stefan (2003). Konstruktivismus. In Ralf Bohnsack, Winfried Marotzki & Michael Meuser (Hrsg.), Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung (S.102–104). Opladen: Leske + Budrich.
Hitzler, Ronald (2007). Wohin des Wegs? Ein Kommentar zu neueren Entwicklungen in der deutschsprachigen „qualitativen“ Sozialforschung. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(3), Art. 4, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs070344.
Hitzler, Ronald & Honer, Anne (Hrsg.) (1997). Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung. Opladen: Leske + Budrich.
Holzkamp, Klaus (1972). Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie. In Klaus Holzkamp, Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten (S.35–73). Frankfurt/M.: Fischer.
Kleining, Gerhard (1995). Lehrbuch entdeckende Sozialforschung. Band I. Von der Hermeneutik zur qualitativen Heuristik. Weinheim: Beltz/PVU.
Knorr-Cetina, Karin (1989). Spielarten des Konstruktivismus. Einige Notizen und Anmerkungen. Soziale Welt, 40(1/2), 86-96, http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/2009/8055/.
Kuhn, Thomas S. (1967). Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Orig. 1962]
Kurt, Ronald (2004). Hermeneutik. Eine sozialwissenschaftliche Einführung. Konstanz: UVK.
Lamnek, Siegfried (2005). Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch (4. Auflage). Weinheim: Beltz/ PVU.
Langenohl, Andreas (2009). Zweimal Reflexivität in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft: Anmerkungen zu einer nicht geführten Debatte. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10(2), Art. 9, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs090297.
Laucken, Uwe (2003). Theoretische Psychologie. Denkformen und Sozialpraxen. Oldenburg: BIS.
Leithäuser, Thomas & Volmerg, Birgit (1988). Psychoanalyse in der Sozialforschung. Eine Einführung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Lettau, Antje & Breuer, Franz (2007). Forscher/innen-Reflexivität und qualitative sozialwissenschaftliche Methodik in der Psychologie. Journal für Psychologie, 15(2), http://www.journal-fuer-psychologie.de/jfp-2-2007-3.html.
Mattes, Peter & Schraube, Ernst (2004). „Die ‚Oldstream‘-Psychologie wird verschwinden wie die Dinosaurier!“ Kenneth Gergen im Gespräch mit Peter Mattes und Ernst Schraube. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 5(3), Art. 27, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0403275.
Mruck, Katja (1999). „Stets ist es die Wahrheit, die über alles gebietet, doch ihre Bedeutung wandelt sich“. Zur Konzeptualisierung von Forschungsobjekt, Forschungssubjekt und Forschungsprozeß in der Geschichte der Wissenschaften. Münster: LIT,.
Mruck, Katja & Mey, Günter (2005). Qualitative Forschung: Zur Einführung in einen prosperierenden Wissenschaftszweig. Historical Social Research / Historische Sozialforschung, 30(1), 5-27, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-50230.
Mruck, Katja & Mey, Günter (2007). Grounded theory and reflexivity. In Anthony Brynt & Kathy Charmaz (Hrsg.), The Sage handbook of grounded theory (S.487–510). London: Sage.
Mruck, Katja; Bergold, Jarg; Breuer, Franz & Legewie, Heiner (Hrsg.) (2000). Qualitative Sozialforschung: Nationale, disziplinäre, methodische und empirische Beispiele. Qualitative Psychologie. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1), http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/29.
Popper, Karl R. (1973). Logik der Forschung (5. Auflage). Tübingen: Mohr. [Orig. 1934]
Reichertz, Jo (2003). Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung. Opladen: Leske + Budrich.
Willig, Carla & Stainton-Rogers, Wendy (Hrsg.) (2008). The SAGE handbook of qualitative research in psychology. London: Sage.
Zielke, Barbara (2004). Kognition und soziale Praxis. Der Soziale Konstruktionismus und die Perspektiven einer postkognitivistischen Psychologie. Bielefeld: transcript.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2010 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Breuer, F. (2010). Wissenschaftstheoretische Grundlagen qualitativer Methodik in der Psychologie. In: Mey, G., Mruck, K. (eds) Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92052-8_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-92052-8_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-16726-8
Online ISBN: 978-3-531-92052-8
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)